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Die Gedenktafel für das Freihaus des Kammertürken Hassan hängt Schloßstraße 6  (Charlottenburg). Das Bild darf unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation verwendet werden.

© Doris Antony Berlin / Wikipedia.de

Schauplatz Berlin (Auflösung 6): Das Haus zwischen den Welten

Fast an jeder Ecke in Berlin hängt eine Gedenktafel, 2820 sind es insgesamt. Der Tagesspiegel bietet jede Woche ein Gedenktafel-Rätsel. Hier finden Sie, liebe Leserinnen und Leser, die Auflösung zu unserer sechsten Folge.

Das islamische Neujahrsfest, wie es Mitte November viele muslimische Berliner gefeiert haben, ist in dem Haus, an dem unsere gesuchte Gedenktafel hängt, wahrscheinlich nie begangen worden. Das Gebäude selbst, dem die Tafel gewidmet wurde, existiert allerdings nicht mehr. Der dreigeschossige Nachfolgebau dient seit 1951 als Gotteshaus für die Siebentags-Adventisten, dazu gehören auch Wohnungen. Der Vorgängerbau, an den die Tafel erinnert, wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Nach Entwürfen des barocken Baumeisters Eosander von Göte war das eingeschossige Häuschen mit kleiner Freitreppe seinerzeit in Charlottenburg vor den Toren Berlins errichtet worden. Eine Fotografie von 1908 zeigt es noch einigermaßen ursprünglich. Sein einstiges Mansardendach hatte man zu diesem Zeitpunkt schon durch ein Walmdach mit großem Fenster in der Mitte ersetzt. Den Vorgarten grenzt ein kleiner Bretterzaun zum Gehweg ab. Das vormals für denselben Zweck nach dem gleichen (für die Besiedlung des Viertels entwickelte) Modell errichtete Nachbarhäuschen ist im Jahr der Foto-Aufnahme schon einem Neubau der Gründerzeit (1883) gewichen. Heute liegen nahebei das Museum der Sammlung Berggruen, das Ägyptische Museum und ein regionales Museum in der Villa Oppenheim, ebenso der touristische Trampelpfad zum Schloss Charlottenburg. 

Die Funktion der beiden schmucken Häuser war es ab 1704 gewesen, zwei so genannten Kammertürken der ersten preußischen Königin Sophie Charlotte als abgabenfreie Dienstwohnung zu dienen. Friedrich Wilhelm Hassan und Friedrich Aly hatten sich die tiefe Zuneigung ihrer nicht sehr glücklich vermählten Chefin erworben, das drückte die Dame noch auf dem Sterbebett aus: „Adieu Aly! Adieu Hassan!“ sollen 1705 ihre letzten Worte gewesen sein. Beide Dienstleister waren als Sultans-Soldaten, später als Gefangene auf unterschiedlichen Wegen nach Mitteleuropa gelangt. Sie hatten die Sprache ihres Verschleppungsortes gelernt und offiziell Preußens Staatsreligion angenommen, sodass nur spekuliert werden kann, ob das Neujahrsfest oder andere Feierlichkeiten ihres Herkunfts-Glaubens in ihrer Privatsphäre weiterhin insgeheim eine Rolle spielten. Friedrich Aly heiratete eine auf den Namen Sophie Henriette getaufte „Beutetürkin“ namens Maruscha. Seinen Nachkommen gelangen in der preußischen Gesellschaft respektable Karrieren. 

Die priviligierte Situation dieser Zwangs-Migranten dauerte allerdings kaum zehn Jahre an . Ihre königliche Kündigung wurde ihnen vermutlich, als nach einem Thronwechsel Sparprogramme anstanden, durch Einstellung der Gehaltszahlung signalisiert; ihre Privilegien, die Dienstwohnung betreffend, entfielen ebenfalls. Aly verkaufte seine Immobilie 1715 und starb im Jahr darauf. Hassan wurde noch 56 Jahre alt, dann veräußerten seine Erben das Haus (1730), dessen Bild uns als Fotografie so niedlich vor Augen steht. Jahrzehnte später gelangt es in den Besitz des Bildhauers Christan Daniel Rausch, der dort für die letzten zwei rastlosen Lebensjahre (1855 – 57) seine Sommerfrische einrichtete, auch das ist auf der Gedenktafel vermerkt. Hektisch wirkt die Ecke immer noch nicht, aber mittlerweile gehört Charlottenburg zu Berlin –  jwd ist passé.

Die nächste Folge von Schauplatz Berlin erscheint am kommenden Sonntag im gedruckten Tagesspiegel

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