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Schauplatz Berlin (Auflösung 9): Die erste Frau

Fast an jeder Ecke in Berlin hängt eine Gedenktafel, 2820 sind es insgesamt. Der Tagesspiegel bietet jede Woche ein Gedenktafel-Rätsel. Hier finden Sie, liebe Leserinnen und Leser, die Auflösung zu unserer neunten Folge.

Dass sie zuletzt nicht als Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin aufgestellt wurde, lag an ihrer Partei, an den Männern, an Kurt Schumacher, der gegen Theodor Heuss kandidieren sollte. Viele Verehrer hätten Louise Schroeder gern an der Spitze gesehen.

Geboren wurde sie als jüngstes von vier Kindern in Altona. Vater Bauarbeiter, Mutter Gemüsefrau. Realschulbesuch, Gewerbeschule für Mädchen, Stenofräulein: ein schwieriger Start. Als Versicherungs-Sekretärin lernt sie Fremdsprachen. Wird Pazifistin, geht in die Poltik. Für Frauen ist das damals exotisch. Sie gehört zur Weimarer Nationalversammlung, ist bis 1933 Reichstagsabgeordnete. Ihre Themen sind der Mutterschutz, das Kindeswohl, die Gleichstellung unehelicher Kinder, die Situation der Prostituierten. Männliche Kollegen, denen dieses weibliche Engagement aufstößt, nennen ihresgleichen „Sozialtanten“. Der Reichstagspräsident Paul Löbe, mit dem sie, die Ledige, vertraut kooperiert, ist verheiratet: In ihrer Partei, der SPD, die sich fortschrittlich gibt, wird darüber heftig getratscht. Als die Nazis zur Macht kommen, wird sie, mittlerweile Politik-Dozentin in Berlin, arbeitslos. Mehrfache Wohnungsdurchsuchung. Sie jobt in einer Hamburger Bäckerei: wird boykottiert, weil sie den Hitlergruß verweigert. Kommt für eine Sekretärinnen-Stelle bei einer Baufirma wieder nach Berlin.

Nach dem Ende des Tausendjährigen Reiches schlägt ihre Stunde. Sie kümmert sich als Stadtverordnete und im Magistrat um Lebensmittel und Brennstoff für Berlin. Erwirbt  Respekt, als die Teilung der Stadt sich manifestiert und sie die Stellung hält. Später wird sie von dem Moment sprechen, in dem ihr Leben „einen vollkommen anderen Verlauf“ genommen habe. Am 8. Mai 1947 übernimmt sie in der Nachfolge des zurückgetretenen Otto Ostrowski das Amt der Oberbürgermeisterin. Als Otto Reuter diese Funktion, obwohl er gewählt wurde, aufgrund des sowjetischen Einspruchs nicht ausüben kann, bleibt sie bis zu ihrer Erkrankung im August 1948 an der politischen Spitze Berlins – als bislang einzige Frau in dieser Position. Aus einem  Hamburger Krankenhaus schreibt sie, ihr Arzt halte sie für ein medizinisches Wunder, da sie in Berlin längst hätte umfallen müssen. Dort zeigt sich ihre Popularität bei einer Kundgebung mit Polit-Prominenz:  Sprechchöre rufen sie, die als Rednerin nicht vorgesehen war, auf den Balkon nach vorn, Tränen laufen ihr übers Gesicht.

Weil sie zur Generation jener Pionierinnen gehört, die „als erste Frau“ dieses und jenes erreichen, ist auch die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an sie als erste Frau eine Berliner Gender-Premiere. Eine andere, 1998 nach ihr benannte Auszeichnung, die Louise-Schroeder-Medaille,  gerät  Jahrzehnte später ins Gerede: Wegen der Verleihung an die Ostberliner Preisträgerin Daniela Dahn gibt die Westberlinerin Hanna-Renata Laurien ihre Ehrung 2002 zurück…. Louise Schröders eigene Würdigung durch eine Kupferplatte, die seit über 50 Jahren ihren letzten Wohnsitz markiert, findet sich neben dem Eingang eines Doppelhäuschens an der Tempelhofer Boelckestraße, Haus Nr. 121. Eine ungemütliche Durchgangstrasse. Am Garagentor ein rotes Schild: Warnung vor dem Hund. Stadtautobahn in Sichtweite. Hier sucht niemand eine Gedenktafel.

Die nächste Folge von Schauplatz Berlin erscheint am kommenden Sonntag im gedruckten Tagesspiegel

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