Schauplatz BERLIN (Rätsel 14): Der vergessene Zeitgenosse
Fast an jeder Ecke in Berlin hängt eine Gedenktafel, 2820 sind es insgesamt. Der Tagesspiegel bietet jede Woche ein Gedenktafel-Rätsel. Sie, liebe Leserinnen und Leser, dürfen jeweils herausfinden, ob Sie den Ort, die Person beziehungsweise das Ereignis kennen. Rätseln Sie mit bei Folge 14!
Dass beide Geburtstagstermine zutreffen, die ihm - sowohl Anfang als auch Mitte Januar - zugeschrieben werden, verweist auf seine Weltläufigkeit. China und Russland waren seine Kindheitsländer; der Vater, ein baltischer Kaufmann, muss jobbedingt oft umziehen. Im großbürgerlichen Elternhaus lernt der Knabe Geige und Klavier, wächst fünfsprachig auf. Im Paris Sibiriens, wie man eine Station seiner Jugendjahre nennt, begeistert sich der Teenager als Beleuchtungshelfer fürs Musiktheater. Fünf Jahre später nach Berlin gekommen, widmet er sich dort nur kurz dem Mathe-und Architektur-Studium. Lieber begleitet er Filme am Piano, schreibt Soundtracks und Unterhaltungsmelodien. Studiert Tonsetzerei. Und wird, nach dem abenteuerlichen Wanderer-Auftakt, zum Berliner auf Dauer.
Der Bungalow, den er hier während seiner letzten 17 Lebensjahre bewohnt hat, steht zwischen älteren Stadtvillen. Ein schönes Viertel. Die ansteigende Straße und der Gehsteig sind gepflastert. Das Einfamilienhaus, an dem (ins Eck gequetscht) seine Gedenktafel hängt, ist ein geschütztes Baudenkmal. Entworfen hat den schlichten, eleganten Kasten ein Architekt, mit dem der Hausherr, als Chef eines wichtigen Bildungsinstitutes, auch beruflich zu tun hatte. Nachdem dafür in der City ein großer Saal realisiert worden war, entstand für ihn selbst, im Kontrast zum nostalgischen Vorort-Umfeld, dies Häuschen der schnörkellosen Geometrie. Blaue Fensterrahmen, weißer Putz, grauer Ziegelunterbau neben rotem Torbereich. Auf dem Hügel davor eine Birke.
Wer den ästhetischen Geschmack, das eigene Ouevre des ersten Hausbewohners kennt, kann ihn sich unter den heimeligen Walmdächern seiner Nachbarn kaum vorstellen. Der Bungalow passt zu seinem Image. Von asketischer Reduktion, Klarheit, Verständlichkeit, von den mathematisch konzipierten Rhythmuswechseln, schwärmen Fans seiner Opern, Kammer- und Orchestermusiken; von tänzerischer Eleganz, gepfeffertem Witz, Affinität zum Jazz. Seinen Uraufführungs-Durchbruch hatte dieser Avantgardist, trotz problematischer „Mischlings“-Abstammung, im „Dritten Reich“ erlebt. Zwar verlor er damals, weil er „entartete“ Klänge verteidigte, einen Lehrauftrag; und doch kamen in jener Zeit unter den modernen Aufführungen, die überhaupt stattfanden, seine Stücke recht häufig vor. Nach dem Krieg lehrt er als Protagonist zeitgenössischer Musik, wie man elektronisch komponiert; bis zu hundert mal pro Saison wird der Komponist in Konzerten gespielt. Heute scheint er vergessen.
Wer war’s? Wo hängt die Tafel? Auflösung am Mittwoch auf www.tagesspiegel.de
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