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Schauplatz Berlin (Rätsel 5): Das Fräulein vom Papierladen

Fast an jeder Ecke in Berlin hängt eine Gedenktafel, 2820 sind es insgesamt. Der Tagesspiegel bietet jede Woche ein Gedenktafel-Rätsel. Sie, liebe Leserinnen und Leser, dürfen jeweils herausfinden, ob Sie den Ort, die Person beziehungsweise das Ereignis kennen. Rätseln Sie mit bei Folge 5!

Sie ist Anfang 30, hat ihren eigenen Laden in einer Straße mit regem Publikumsverkehr, da gibt es viele kleine Geschäfte. Der Mann, mit dem sie einige Häuser weiter zusammenlebt, ist Lehrer und Politiker. Eigentlich mit einer Jüdin verheiratet. Als Politiker kann er nicht mehr arbeiten. Ließe er sich scheiden, wäre seine Frau nicht mehr geschützt. Sie ist also seine Geliebte, verkauft in ihrem Geschäft Hefte, Schreibzeug, Zeichensachen. Als im Herbst vor 70 Jahren ihr Freund jüdischen Freunden hilft unterzutauchen, kommen diese beiden, Mutter und Tochter, zunächst bei ihm und der Ladenbesitzerin unter: in der gemeinsamen kleinen Wohnung. Bald darauf wechseln die Verfolgten ins Hinterzimmer des Schreibwarenladens. Zur Verkaufszeit müssen sie das Geschäft allerdings verlassen. Der Stress für alle, die nun Gefahr laufen, entdeckt zu werden, ist groß. Der Mann lässt seine Gereiztheit bisweilen an den Beteiligten aus. Später werden er und seine Freundin ausgebombt, sie finden eine Zuflucht in der Lausitz. Nun führt die jüdische Tochter für fast ein Jahr das Geschäft, unter falschem Namen.

Der Geliebte der Ladeninhaberin lässt sich schließlich von seiner getrennt lebenden Frau scheiden – und versteckt diese auf dem Land, bis zum Ende des Krieges. Auch die Mutter und ihre Tochter überleben. Für ihn als Politiker folgt eine zweite, sehr kurze Karriere. Er heiratet die langjährige Freundin. Sie stirbt vor ihm, im Alter von 50 Jahren. Er geht verbittert ins Ausland.

Heute ist die Ladenfront, hinter der die geheime Rettungsaktion stattfand, rot gestrichen, orthopädische Hilfsmittel werden da verkauft. Eine Straße der Einzelhändler und Handwerker: Gegenüber Reinigung, Apotheke, Obstladen, Weinhandlung, Café. Links und rechts Tierpraxis, Glaser, Möbeltischler und Innendeko-Bedarf. Peitschenlampen. An der nummerierten Linde, die Beschützer gefunden hat, ist ein rotes Papierherz befestigt.

Das Fräulein vom Schreibwarenladen wäre beinahe vergessen worden, gemeinsam mit seinem – ungleich bekannteren – Politiker-Gefährten. Erst seit ein paar Jahren hängt eine Gedenktafel, die den Mut des Paares würdigt, am historischen Ort. Der Name dieser Couragierten, die sich durch ihren Freund verleiten ließ, das eigene Leben zu riskieren, gleicht übrigens bis auf einen Buchstaben dem einer anderen, zu Lebzeiten geehrten Judenretterin. Wer an die Alltagsheldin vom Ladenlokal erinnert, könnte beide Frauen miteinander verwechseln.

Wer war es? Wo finden Sie die Tafel? Auflösung am Mittwoch auf www.tagesspiegel.de/schauplatz.

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