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Schauplatz BERLIN (Rätsel 6): Das Haus zwischen den Welten

Fast an jeder Ecke in Berlin hängt eine Gedenktafel, 2820 sind es insgesamt. Der Tagesspiegel bietet jede Woche ein Gedenktafel-Rätsel. Sie, liebe Leserinnen und Leser, dürfen jeweils herausfinden, ob Sie den Ort, die Person beziehungsweise das Ereignis kennen. Rätseln Sie mit bei Folge 6!

Das islamische Neujahrsfest, wie es Mitte November viele Berliner feiern, ist wahrscheinlich in dem Haus, an dem jetzt unsere gesuchte Gedenktafel hängt, nie begangen worden. Das Gebäude selbst, dem die Tafel gewidmet wurde, existiert nicht mehr. Der dreigeschossige Nachfolgebau dient als Gotteshaus für eine andere Religion, dazu gehören auch Wohnungen. Der Vorgängerbau, an den die Tafel erinnert, wurde im Weltkrieg zerstört. Nach Entwürfen eines barocken Baumeisters war das eingeschossige Häuschen mit Freitreppe seinerzeit in einem Städtchen vor den Toren Berlins errichtet worden. Eine Fotografie von 1908 zeigt es noch einigermaßen ursprünglich. Sein ursprüngliches Mansardendach hatte man zu diesem Zeitpunkt schon durch ein Walmdach mit großem Fenster in der Mitte ersetzt. Den Vorgarten grenzt ein Bretterzaun zum Gehweg ab. Das vormals nach dem gleichen Modell für denselben Zweck errichtete Nachbarhäuschen ist im Jahr der Ablichtung schon einem Neubau der Gründerzeit gewichen. Heute liegen nahebei Museen und touristische Trampelpfade.

Die Funktion der beiden schmucken Häuser war es gewesen, zwei gut bezahlten Servicekräften der feudalen First Lady als abgabenfreie Unterkunft zu dienen. Die Dienstleister hatten sich die Zuneigung ihrer nicht sehr glücklich vermählten Chefin erworben, das drückte die Dame noch auf dem Sterbebett aus. Beide waren als Sultanssoldaten und Kriegsgefangene auf unterschiedlichen Wegen nach Mitteleuropa gelangt. Sie hatten die Sprache ihres Verschleppungsortes gelernt und offiziell Preußens Staatsreligion angenommen, sodass nur spekuliert werden kann, ob das Neujahrsfest oder andere Feierlichkeiten ihres Herkunfts-Glaubens in ihrer Privatsphäre weiterhin insgeheim eine Rolle spielten.

Die privilegierte Situation dieser Zwangsmigranten dauerte allerdings kaum zehn Jahre. Ihre königliche Kündigung wurde ihnen vermutlich durch Einstellung der Gehaltszahlung signalisiert; ihre Privilegien, die Dienstwohnung betreffend, entfielen ebenfalls. Der eine verkaufte seine Immobilie bald , verstarb ein Jahr später; der andere wurde noch Mitte fünfzig, dann veräußerten seine Erben das Haus, dessen Bild uns als Fotografie so niedlich vor Augen steht. Jahrzehnte später gelangte es – auch das ist auf der Gedenktafel vermerkt – in den Besitz eines sehr produktiven Künstlers, der dort für die letzten rastlosen Lebensjahre seine Sommerfrische einrichtete. Hektisch wirkt die Ecke immer noch nicht, aber jwd ist passé.

Was war das für ein Haus? Wo hängt die Tafel? Auflösung am Mittwoch auf www.tagesspiegel.de

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