zum Hauptinhalt

Schauplatz BERLIN Wer?  Wo? Wann? – Das Tafelrätsel: Gestorben für einen Traum

Eigentlich ist sie unpolitisch. Ihr Vater zeigt Kunst und Mode im Museum, Mutter ist eine Fürstentochter.

Eigentlich ist sie unpolitisch. Ihr Vater zeigt Kunst und Mode im Museum, Mutter ist eine Fürstentochter. Als die Eltern sich trennen, ist sie acht. In der Schule schreibt sie Gedichte. Sie will Journalistin werden. Tritt der Regierungspartei bei, die eben an die Macht gekommen ist, wird Pressefrau einer Filmfirma. Die Liebe zu einem Flieger, der nachrichtendienstlich arbeitet, verändert ihre Ansichten. Man heiratet in Omas Gutskapelle. Im Jahr darauf tritt sie aus der Partei aus, um (so ihre Begründung) Zeit für Ehefrauenpflichten zu gewinnen. „Betörend“ wird sie von Zeitgenossen genannt. Auf Fotos jener Jahre erscheint sie – Zigarette im Mundwinkel, im Badeanzug mit Akkordeon – als lebenshungrige Persönlichkeit. Sie gehört nun zum Dissidentenkreis ihres Mannes. Ihre Wohnung wird durchsucht. Kurzzeitige Verhaftung beim Urlaub an der Grenze: Spionageverdacht.

Für Filmkritiken, die sie eine Zeit lang verfasst, benutzt sie den Jargon des Regimes. Als ein Ministerium sie einstellt, sammelt sie Fotos, die Armeeverbrechen belegen. In der konspirativen Gruppe gilt ihr Temperament als Risiko. Sie verbreitet Flugschriften. Nach der Verhaftung ihres Mannes vernichtet sie Unterlagen. Drei Monate später steht sie vor Gericht. Ihr erster letzter, amtlich der Mutter ausgehändigter, auf den langen Hinrichtungstag datierter Brief beginnt: „Da ich bereits in einem Traum lebe, aus dem ich, glücklich wie ich bin, zu keiner grausamen Wirklichkeit mehr erwachen muss, fallen mir die Worte schwer.“ Niemand sterbe vor der Erfüllung seiner Aufgabe, deshalb könne sie – „aus dem Zwiespalt meiner Natur heraus“ – nur durch den Tod „zur großen Leistung“ kommen.

Ihre Gedenktafel hängt an dem Häuserblock, in dem sie und ihr Mann sich mit den Freunden trafen. Zum Eingang herab steigt man ins düstere Souterrain. An der Ecke ein Spielzeugladen. Knapp sieben Kilometer von hier ist damals, kurz vor Weihnachten, das Urteil wegen Begünstigung des Feindes an ihr vollstreckt worden, um 20.30 Uhr. In ihrem allerletzten, rausgeschmuggelten Abschiedsbrief erwähnt sie den Verrat durch eine Mitgefangene, der sie vertraute. „Auch ich habe aus Egoismus Freunde verraten, ich wollte frei werden ... Jetzt haben mir alle verziehen und in einer Gemeinsamkeit, die nur angesichts des Todes möglich ist, gehen wir dem Ende entgegen. ... Erzähl allen, allen, allen von mir. Unser Tod muss ein Fanal sein.“Thomas Lackmann

Wer war’s? Auflösung am Mittwoch auf www.tagesspiegel.de oder nächsten Sonntag an gleicher Stelle. – Lösung Schauplatz 10 (16.12.): Der Astronom, dem mit der Urania-Gründung Wissenschaftsvermittlung gelang, während sein Einsatz für den einenden Ost-West-Ostertermin scheiterte, war Wilhelm Foerster, geboren vor 180 Jahren (16.12.), gestorben 1921. An seinem vorletzten Wohnhaus Ahornallee 32 (Westend) befindet sich die Gedenktafel.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false