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Berlin: Schiller bekam eins auf die Glocke

Am Gendarmenmarkt ist alles anders. Die Kulissen für die Dreharbeiten zu „In 80 Tagen um die Welt“ verwirren die Besucher. Einigen testen, ob das Schauspielhaus echt ist. Und andere suchen den berühmten Dichter

Friedrich Schiller ist weg. Genauer: Sein Denkmal hat sich allen neugierigen Blicken entzogen. Es ist verschwunden hinter gelblichem Sperrholz und Styropor, die Kulissenbauer zu einem Podest mit hohem Sockel geformt haben. Der große Dichter vorm Schauspielhaus am Gendarmenmarkt ist Vergangenheit. Der Sockel wartet auf Neues.

Aber auf was? Die Passanten, die am Sonnabend zu Tausenden bei fast andächtiger Ruhe auf dem Platz flanieren, rätseln meist, was da wohl kommen mag. Einige sind richtig erschrocken, Schiller nicht zu sehen. Dass hier in Kürze der Hollywood-Film „In 80 Tagen um die Welt“ gedreht wird, hat sich bei den meisten herumgesprochen, auch das hier ein Stück altes London für die in Kürze beginnenden Aufnahmen nachgebaut worden ist. Aber was auf den umzäunten Sockel soll, ist spannend unklar. Ein Wachmann erzählt, dass auch er nicht weiß, was ihm das Publikum etwas übel nimmt. Oben streicht ein Mann letzte Farbreste übers Styropor, der müsste es doch wissen. Der Mann ruft von oben herab: „A Globe.“ Eine bronzene, imperiale Weltkugel wird errichtet, groß, rund und natürlich nicht aus Bronze.

Also wird Schiller nicht etwa unter Shakespeare oder Lord Nelson versteckt, was etliche Leute, die sich ohnehin leicht aufregen, etwas beruhigt. Da ist beispielsweise ein Ehepaar an der Jägerstraße aus einem Limburger Reisebus gestiegen, kommt sozusagen hinten herum, sieht das Gestänge der Kulissen. Der Mann schimpft gleich los: „So was kann man doch mit diesem weltberühmten Platz nicht machen.“ Kulissen sollten diese Filmfritzen doch lieber in Babelsberg oder sonstwo, am besten gleich in England aufbauen. Und die Frau sagt traurig, der Platz sei nun leider ziemlich verschandelt.

Ansichtssache: Da kommt eine vierköpfige Familie rheinischer Mundart aus der Taubenstraße auf den Platz marschiert, genießt die Schokoladenansicht. Zwischen Schauspielhaus links und Deutschem Dom rechts stehen der große Sockel mit Löwen und jenes altehrwürdige Kulissenhaus, das in seinem Stil der Nachbarschaft so täuschend nachempfunden ist. Die Familie kriegt den Kulissenzauber erst nicht mit. Eine der Töchter sieht kleine Räder unterm Löwensockel und stutzt, während der Vater noch grübelt, er habe den Gendarmenmarkt gar nicht so klein in Erinnerung. Als er den schönen Schein bemerkt, sagt er nur: „Genial!“

Die Berliner selbst scheinen die neue Umgebung mit interessierter Gelassenheit zu sehen. Ein Spaziergang hier ist wieder mal wie Urlaub in einer fremden Stadt. „Mal ehrlich“, sagt ein junger Mann, „wär doch gar nicht schlecht, wenn die Kulissen blieben.“ Mit Glück lassen sich Filmleute erkennen und ein wenig ausfragen, auch Männer vom Sicherheitsdienst sind nicht ganz so verschlossen, wie sie oft wirken. Gefragt sind auch die Gerüst- und Kulissenbauer.

Am Rand des wirren Gestänges hinter den Kulissen sitzen sie am langen Tisch zur Mittagspause, hier Berlin, drüben London. „Den Löwen rollen wir später mehr auf die Mitte des Platzes“, ruft jemand, ein anderer erzählt, dass ihn Japaner gefragt hätten, welche Gebäude auf dem Platz echt und falsch seien. Beim Aufstieg der 29 Stufen des Schauspielhauses hätten die Touristen tatsächlich geprüft, ob die ehrwürdigen Steine tatsächlich massiv sind.

Viele Passanten würden zu gern die Kulissen anfassen, über die Scheiben und Fensterrahmen streichen, die denen des Schauspielhauses und der beiden Dome so sensibel nachempfunden sind. Oder das gelbe Gemäuer berühren. Aber es ist eingezäunt, und Wachmänner haben stets alles im Blick. Nur den Schiller nicht mehr. Der bleibt spätestens bis Mitte Mai versteckt.

Christian van Lessen

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