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Berlin: Schlürfen auf Geheiß des Königs

Der Siegeszug des Kaffees begann 1722. Eine neue Ausstellung zeigt, warum er nicht zu stoppen war.

Von Amory Burchard

„Mein Lieblingscafé“, sagt Reiner Güntzer, „ist in Venedig.“ Die kleine Espressobar ist für den Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum ein Urlaubsort. Inspiration für Ausstellungen über Berlin in einem der 500 Berliner Cafés zu schöpfen, sei nicht sein Lebensstil, sagt Güntzer bestimmt. Er gehört zu den schwer arbeitenden Menschen, die sich wundern, wie viele Leute es sich leisten können, mitten in der Woche tagsüber im Café zu sitzen. Es gab aber Zeiten in Berlin, da konnte man sich als Kaffee-Nase seinen Lebensunterhalt verdienen. Wie, erzählt eine Ausstellung in der Domäne Dahlem: „Kaffee – vom Schmuggelgut zum Lifestyle-Klassiker“. Kein ultimativer Café-Tipp also von Reiner Güntzer und seinen Stadthistorikern, sondern die komplette Berliner Kaffee- und Café-Geschichte.

Der „außländische Schlürfftrank“ wurde auf höchste Order verbreitet. Friedrich Wilhelm I. ließ 1722 in Den Haag den dunkelhäutigen Cafétier Monsieur Olivier anwerben, damit er in Berlin ein Königliches Kaffeehaus gründe. Am Paradeplatz beim Lustgarten bekam Monsieur ein eigenes Haus, die Offiziere der Garnison nannten es „au Coffé royal“. Als Friedrich der Große, der Sohn des Kaffeehaus-Pioniers, regierte, gab es schon 13 solcher Etablissements in Berlin, dazu Kaffeegärten vor den Toren. Bald schlürfte nicht mehr nur die feine Gesellschaft. Schon 1744 notierte die Kurmärkische Domänenkammer, dass der Kaffeekonsum, „fast jedem und sogar den geringsten Leuthen zur Natur geworden“. Weil rohe Bohnen billiger waren, brannte man zu Hause. Friedrich der Große sah in dem luxuriösen Importgut eine Gefahr für die heimische Wirtschaft. Statt Kaffee sollten die Leute wieder die heimische Biersuppe zum Frühstück genießen. Die enorme Importsteuer, die der König auf den Kaffee erheben ließ, führte zu regem Schmuggel. Die „Nachricht an das Publikum, den Verkauf des gebrannten Caffés betreffend“ wurde überall in Preußen angeschlagen. 400 „Kaffeeriecher“ sollten Schwarzbrenner entlarven. Sie liefen durch die Straßen, und wo sie frisch Gerösteten rochen, durchsuchten sie die Häuser und konfiszierten die Bohnen. Keine schöne Arbeit und bestimmt keine Alternative für die vielen Müßiggänger, die alsbald mitten in der Woche den halben Tag im Café saßen und Zeitung lasen. Nach Friedrichs Tod konnten den Siegeszug des öffentlichen und privaten Kaffeegenusses nur noch wirtschaftliche und politische Krisen von Zeit zu Zeit hemmen. Auch das erfährt man in der Domäne und im Buch zur Ausstellung: Erst zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Deutschland wieder genauso viel Bohnenkaffee wie Ersatzkaffee verbraucht.

Das erste Berliner Kaffeehaus im Wiener Stil war das 1878 Unter den Linden 26 eröffnete Café Bauer. An seiner Ausstattung müssen sich bis heute alle Kaffeehäuser messen lassen. Ein Beispiel: Allein drei Angestellte waren dafür zuständig, die 600 täglich zur Auswahl stehenden Zeitungen und Zeitschriften aus aller Welt zu ordnen.

Alte Kaffeemühlen und -maschinen, Sittengemälde früher Kaffeekränzchen und Fotografien der bewegten Berliner Café-Geschichte: Peter Lummel, Leiter des Museums Domäne Dahlem, hat einen Spaziergang von der volkstümlichen „Kaffeeklappe“ (um 1900) zu den Gartenlokalen, in denen „Familien Kaffee kochen“ konnten (um 1920), aufgebaut. Nach dem Krieg teilte sich die Berliner-Kaffeegeschichte. Der berüchtigte „Kaffeemix“ der DDR-Gastronomie ist ebenso dokumentiert wie das kurz nach dem Mauerbau Berlin gewidmete Rosenthal-Service „Kurfürstendamm“ in Weiß mit Goldrand.

Nach dem Mauerfall entdeckte ganz Berlin den „Lifestyle“ in Coffee-Shops, Themen-Cafés und neuen privaten Röstereien. Die anregende jüngste Kaffee-Geschichte der Stadt hat die Fotografin Bettina Keller erforscht. Ihre künstlerische Foto-Reportage zeigt sie in einem Raum des Museums: Da sieht man wieder diese beneidenswerten Leute, die mitten in der Woche im Café sitzen und Zeitung lesen. Und in welchem lässt es sich am besten leben? „Im Buchwald wegen des wunderbar gemischten Publikums, im Starbucks wegen der Sessel im Ruheraum und immer wieder im Einstein“, sagt Bettina Keller. Wegen des Kaffees.

Domäne Dahlem, Königin-Luise-Straße 49, bis zum 11. Februar 2003, täglich außer dienstags 10 bis 18 Uhr. Das Buch: Kaffee. Vom Schmuggelgut zum Lifestyle-Klassiker. (Hrsg. von Peter Lummel). be.bra Verlag, Berlin-Brandenburg. 120 Seiten, 14,90 Euro.

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