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Berlin: Schnee- und andere Lasten

Es ist wie immer, wenn wir zurückkommen. Sie hört uns die Treppe heraufpoltern und wirft sich, kaum dass wir die Tür öffnen, auf den Teppich.

Es ist wie immer, wenn wir zurückkommen. Sie hört uns die Treppe heraufpoltern und wirft sich, kaum dass wir die Tür öffnen, auf den Teppich. Dort rollt sie sich strampelnd um die eigene Längsachse und macht damit deutlich, dass sie sich freut. Dann gewinnt ihr Verstand die Oberhand. Sie setzt sich und schaut uns skeptisch an. „Wo wart ihr die ganze Zeit?“

„Es waren nur zwei Tage!“

„Also wo?“

„Habe ich doch gesagt: in Worpswede.“

„Nicht in Berlin?“ Frau Hoffmann ist sichtbar enttäuscht. Sie denkt gerne an unseren gemeinsamen Aufenthalt in der Hauptstadt. Ständig wird sie durch das Fernsehen an Berlin erinnert. Wie sie dort protestieren, demonstrieren und Paläste abreißen, das gefällt ihr.

Das Einzige, was sie uns zu berichten hat, ist ihr Kommentar zum Wetter:

„Der Schnee ist verschwunden.“

„Ja hier. Aber in anderen Gegenden noch lange nicht.“

„Schneit es in Berlin?“

Schon wieder Berlin. Manche Provinzler sind ganz besessen von Berlin. Kaum haben sie in Mannheim einen ICE nach Bhf. Zoo abfahren gesehen, summen sie „Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft.“

Wenn ich ihr jetzt gebe, was ich Leckeres mitgebracht habe, wird sie es demonstrativ ignorieren, weil es nicht aus Berlin stammt. Sie unterscheidet sich kein bisschen von den Pariser Katzen, die im Sommer mit ihren Besitzern in die Dròme kommen, wo sie sich so arrogant benehmen, dass sie die einheimischen Katzen in Rage versetzen und ständig verprügelt werden. Womit ich nicht sagen will, dass man Pariser mit Berlinern verwechseln kann.

„Nein, es schneit auch nicht in Berlin. Aber man hört die Dachkonstruktion über der Großen Koalition knirschen, so wie in Ostbayern, bevor dort die Häuser unter der Schneelast zusammengebrochen sind.“

„Ist das Hofbräuhaus auch zusammengebrochen?“

„Aber nein. Das steht in München und nicht in Ostbayern.“

„Der Palast der Republik steht aber in Ost-Berlin, nicht wahr?“

„Ja, so nannte man den Stadtteil früher."

„Er ist zusammengebrochen, oder?"

„Nicht unter einer Schneelast.“

„Sondern?“

„Es ist die Last der Geschichte. Und vielleicht auch die Schuldenlast, die auf dem Senat lastet.“

„Du hast doch auch Schulden, nicht wahr?“

Woher weiß sie das? Sie hat Ohren, wie sie sich der Innenminister wünscht.

„Nun ja“, gebe ich zu.

Frau Hoffmann springt auf die Fensterbank und sieht hinunter auf die Landschaft, in der kaum noch Schneereste zu sehen sind. „Jetzt kommt bald der Frühling. Dann kriechen die Mäuse aus ihren Löchern. Wenn du mich nach draußen lässt, kannst du einen Teil meines Futters sparen“, schlägt sie vor. Ich bin gerührt.

„Warte lieber, bis wir wieder in der Dròme sind“, vertröste ich sie. „Da gibt es mehr Mäuse und weniger Hunde.“

„Wieso Dròme? Fahren wir nicht nach Berlin? Ich habe gehört, dort gibt es mehr Ratten als Tauben in Venedig. Da könnte ich mich selbst verpflegen.“

„Mehr Ratten? Na ja, wenn in Berlin die Müllabfuhr streikt, ist das möglich. Aber ich muss mich zuerst erkundigen, ob Ratten die Vogelgrippe übertragen.“

— Der Autor ist Deutschlands bekanntester Gastrokritiker und kennt sich auch bei Katzen aus. Ganz besonders bei Frau Hoffmann, seiner schlauen Mitbewohnerin. Sie hat zu allem etwas zu sagen.

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