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Das waren Zeiten. Der letzte harte Winter mit Eis und Schnee liegt zehn Jahre zurück. In dieser Saison hatten die Räumdienste nicht viel zu tun. Doch das kann sich schnell wieder ändern.

© Rainer Jensen/dpa

Schneeräumdienste in der Klimakrise: Sommermärchen für Winterdienste

Am Montag fielen ein paar Schneeflocken in Berlin – viel mehr war nicht in dieser Saison. Die Branche fürchtet trotzdem nicht um ihre Zukunft.

Die Schneeberge waren meterhoch, die Menschen schlitterten über extrem vereiste Bürgersteige: Nein, die Rede ist nicht von Montag, als kurzzeitig plötzlich die ersten Schneeflocken in der Stadt überhaupt in diesem Winter fielen.

Der berühmte „Chaos-Winter“ ist zehn Jahre her, Berlin versank 2009/10 beim heftigsten Winter seit 1978/79 im Schneetreiben. Die Räumdienste kamen nicht hinterher. Dieses Jahr ist mit Ausnahme des Montags die erste Saison gewesen, in der es „kein einziges Mal Schnee gab“, sagt Martin Gwiazdowski, Geschäftsführer der privaten Alpina Schneedienst GmbH aus Schmargendorf. Gestern saß er im Büro, habe die Lage beobachtet und mit den Meteorologen telefoniert. Seine Leute waren in Bereitschaft – noch, denn offiziell endet die Saison am 31. März. „Bislang sind wir zu 17 Einsätzen ausgerückt, meist wegen überfrierender Nässe oder dort, wo stellenweise Glatteis war.“ Wenn es so gut wie kaum noch schneit, was bedeuten die klimabedingten wärmeren Winter für die Branche? Sind die Unternehmen langfristig in Gefahr?

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Noch nicht, glaubt Gwiazdowski. Er ist seit 1983 im Winterdienst tätig und seit fast 30 Jahren bei der Alpina Schneedienst GmbH. Seine Firma sei vor allem im alten West-Berlin im Einsatz und für 2000 Objekte zuständig. Es habe 20 Kündigungen gegeben, sagt er. „Das hält sich in Grenzen.“ Die Kunden zahlen einen Pauschalpreis für die Beseitigung von Schnee und Eis vor ihrem Haus. Für die Räumung ist jeder Eigentümer gesetzlich verpflichtet, sonst haftet er, wenn jemand beispielsweise auf dem Gehweg vor seinem Haus ausrutscht und sich verletzt. Entweder er beseitigt selbst die Wege von Eis und Schnee oder beauftragt ein privates Unternehmen, dies zu tun – dann steht die Firma in der Verantwortung. Je nach Fläche und ob mit einem Fahrzeug oder per Hand geräumt werden muss, variiert der Preis. Pro Saison werden häufig etwa 250 bis 350 Euro fällig.

Saisonbeschäftigte erhalten bei Alpina Schneedienst den Mindestlohn

Gwiazdowski muss genügend Mitarbeiter vorhalten, um jederzeit bei Schneefall oder Blitzeis Leute rausschicken zu können. Seine Firma zahle den Saisonbeschäftigten den Mindestlohn, der sich nach dem der Gebäudereiniger in Berlin bemisst: 10,80 Euro pro Stunde. Die Kräfte stehen auf Abruf bereit. Wie bei allen im Verband organisierten Firmen, die meist seit vielen Jahren auf dem Markt sind, werden die Schneeräumer pauschal bezahlt und je nach Unternehmen werden 25 bis 30 Einsätze kalkuliert. Da die meisten von ihnen als Saisonkräfte freiberuflich sind, arbeiteten etliche während der übrigen Monate beispielsweise als Taxifahrer oder im Garten- und Landschaftsbau. Auch viele Rentner seien in seinem Betrieb bislang im Einsatz gewesen, doch wegen des Anstiegs des Mindestlohns hätten diese die maximal 450 Euro brutto, die sie dazuverdienen durften, überschritten. „Dadurch haben wir ein paar erfahrene Rentner verloren“, sagt Gwiazdowski. Er gibt zu bedenken, dass alle in der Branche „große Vorhaltungen“ zu bewerkstelligen haben, das bedeutet: Personalkosten, Lagerkosten für das Streugut sowie Fahrzeug- und Technikkosten.

Die Aufräumer. Auch, wenn es nicht oder kaum schneit, fahren die privaten Winterdienstfahrzeuge - zum Beispiel zum Üben der Strecken.
Die Aufräumer. Auch, wenn es nicht oder kaum schneit, fahren die privaten Winterdienstfahrzeuge - zum Beispiel zum Üben der Strecken.

© Promo/Alpina Schneedienst GmbH

Am liebsten wären ihm drei richtige Einsätze pro Saison, denn das Personal könne nur die Routine entwickeln, wenn es auch zu Realbedingungen mal zum Arbeiten kommt. Das heißt aber nicht, dass die Schneeräumer gar nichts tun. „Um zu üben und neue Kräfte anzulernen, fahren wir Trockenübungen“, erklärt Gwiazdowski. Die Beschäftigten würden zum Saisonabschluss Ende März und Anfang April und dann wieder im Oktober die zugeteilte Route abfahren und so geschult werden. „Wir können das dann exakt per GPS verfolgen und auch beurteilen, ob jemand seine Route unter echten Bedingungen mit Eis und Schnee schaffen würde“, sagt er.

Wer mit der Tempelhofer Winterdienst-Firma Kranold einen Vertrag hat, muss sich nicht wundern, wenn demnächst auch ohne Schnee die Kleinfahrzeuge am Haus entlangfahren. Falk Eckert, Geschäftsführer des Betriebs, schickt seine Leute zum Saisonende immer zur „Endreinigung“ raus, damit die nochmal „alles blitzeblank kehren“, sagt Eckert. Auch er sieht derzeit keine extreme Gefahr für seine Branche. „Wer ein Haus hat, der hat auch eine Brandschutzversicherung“, sagt Eckert. Ein Schneeräumdienst sei damit zu vergleichen: Man könne nicht vorhersagen, ob der kommende Winter nicht doch wieder heftiger wird. Dann stünden die Leute ohne Räumdienst dumm da. „Wir nehmen ihnen die gesetzliche Pflicht ab“, betont Eckert. Er siehe die Entwicklung, dass die Winter wärmer werden, zweigeteilt. „Wir stoßen weniger CO2 aus, weil wir weniger rausfahren müssen. Somit tun wir auch etwas für die Umwelt“, sagt Eckert.

Andererseits investiere er in immer modernere Technik und passe sich mit der Digitalisierung dem Trend in der Branche an. „Es ist schade, wenn man das Unternehmen digital weiterentwickelt, aber das alles dann gar nicht richtig anwenden kann“, sagt Eckert. Eben weil der Schnee einfach nicht fällt.

Bei der BSR sind die Kräfte der Winterdienste Straßenreiniger

Die Sorgen muss sich die landeseigene Stadtreinigung (BSR) nicht machen. Sie ist für die öffentlichen Fahrbahnen, Radwege, Haltestellen, Plätze und Fußgängerzonen zuständig. Die Frage, ob Kräfte reduziert werden wegen milderer Winter, stelle sich nicht, sagt Unternehmenssprecher Sebastian Harnisch. „Die Winterdienstkräfte sind normalerweise in der Straßenreinigung tätig“, schildert er. Bei Eisglätte oder Schnee schalteten die Straßenreiniger und Straßenreinigerinnen „sozusagen auf Winterdienst um“. So würden dann auch die Fahrzeuge von Straßenreinigung auf Winterdienst umgerüstet.

Mehr als milde Winter bereiten den privaten Räumdiensten „schwarze Schafe, die auf den Markt drängen“, Sorgen. Dies seien Firmen, die „keine Ahnung haben und keine Erfahrung“, keinen Mindestlohn zahlen und durch Billigangebote die Traditionsunternehmen in Gefahr brächten, sagen Gwiazdowski und Eckert. Auch Katja Heers, Vorsitzende des Berliner Verbands gewerblicher Schneeräumdienste warnt vor dieser Entwicklung. Diese Neugründer beteiligten sich an Ausschreibungen der Bezirke und des Landes. In der Branche wird beklagt, dass das Land oft den billigeren Anbieter bevorzugt. „Dann ziehen wir uns zurück, weil wir bei den Dumping-Preisen nicht mithalten können“, sagt Gwiazdowski. Doch ob die nicht erfahrenen Firmen dann im Ernstfall ihrer Aufgabe wirklich gerecht werden können und genug Leute vorhalten, bezweifeln die Chefs der Traditionsunternehmen.

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