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Berlin: Schön schmerzfrei

Kann eine Schönheitsoperation gegen Migräne helfen? Ein Chirurg bietet das jetzt in Berlin an. Er entfernt zwei Muskeln über den Augen. Doch seine Kollegen sind skeptisch

Ein schneller Schnitt in die Lidfalte, und dann wird er die Muskeln rausholen, zwei kleine Stückchen Gewebe über jeder Augenbraue, so groß wie Bohnen. Eine einfache Operation, Schönheitschirurgen haben sie schon tausendfach gemacht. Zwei Stunden wird es dauern. Ob sie dann nie wieder Migräne hat?

Wer Katja Speder an diesem Tag sieht, möchte nicht glauben, dass sie zwei, drei Mal im Monat schwer leidet. Es ist Donnerstag, Mittagszeit, und sie sitzt im Behandlungszimmer von Thomas Muehlberger in der Park-Klinik Weißensee. Es geht ihr gut heute. Sie erzählt vom Studium, Politik und Germanistik und mit einem Augenzwinkern, dass sie mal Bundeskanzlerin wird. 26 ist sie. Meistens. Manchmal fühlt sie sich wie 100, dann, wenn die Migräne-Attacken einsetzen. Als sie zwölf war, kam die erste. Ein stumpfer Schmerz bohrt sich in die rechte Hirnhälfte, ihr ist schlecht, sie hat Durchfall, und das Licht sticht in den Augen wie verrückt. „Dann muss ich alles abblasen. Dann lege mich still ins verdunkelte Zimmer."

Katja Speder hat viel ausprobiert. Sie joggt, weil Sport hilft, sie schleppt ihre Medikamente überall mit hin, doch die Attacken kehren immer wieder. Deshalb will sie jetzt, obwohl langfristige Studien noch nicht vorliegen, eine ganz neue Operation machen lassen, als eine der Ersten in Deutschland. Eine Operation, die sonst plastische Chirurgen machen, um faltenfreie Gesichter zu schaffen: Auf jeder Gesichtshälfte durchtrennen sie den kleinen „musculus corrugator supercilii“, jenen Muskel, der die Schuld trägt an der Zornesfalte über der Nase. Spannt man diese kleinen Muskeln an, ziehen sich die Augenbrauen zusammen und zwei senkrechte Falten entstehen. Die Theorie lautet nun, dass diese Muskeln dabei auf einen Nerv drücken – auf einen der zahlreichen Zweige des Trigeminus-Nervs, eines wichtigen Gesichts-Nervs – und dass dieser Reiz wiederum Migräne auslöst. Was noch unbewiesen ist.

Eher zufällig hatte der Schönheitschirurg Bahman Guyuron von der Uni in Cleveland vor einigen Jahren bei Patienten entdeckt, dass ihre Migräne nachließ, nachdem er die kleinen Muskeln entfernt hatte. Daraufhin wagte Guyuron den Eingriff gezielt bei einer kleinen Zahl von Migräne-Geplagten. Danach waren von 24 Operierten zehn ihre Beschwerden plötzlich los, elf berichteten von einer deutliche Besserung. Warum der Eingriff bei den einen wirkte und bei den anderen nicht, blieb zunächst im Dunkeln.

Als man nach Möglichkeiten suchte, jene Patienten herauszufiltern, denen so ein Eingriff helfen würde, kam man auf die Idee, dass die Lahmlegung der kleinen Muskeln mit dem Nervengift Botox, wie es sie aus kosmetischen Gründen schon länger gibt, einen ähnlichen Effekt erzielen müsste. Wer auf Botox ansprach, dem müsste also auch die Muskelentfernung helfen, war die Überlegung. Rund 30 Studien aus aller Welt, allerdings von sehr unterschiedlicher Qualität, bestätigen das mittlerweile.

Und jetzt hat Thomas Muehlberger die Idee auch nach Berlin gebracht. Seit April ist er Leiter der Abteilung „Plastische Chirurgie und Handchirurgie“ an der Park-Klinik. An der Uni Hannover hat er vorher gearbeitet – und davor in Cleveland. Die ersten Erfolge hat er dort selbst mit angesehen. Aber er selbst ist auch der Erste, der die Erwartungen dämpft. „Der Eingriff ist auf keinen Fall ein Allheilmittel gegen Migräne“, sagt er. „Wahrscheinlich kommen nur fünf bis zehn Prozent aller Patienten für diese Operation in Frage.“ Und ob Katja Speder dazugehört, ist nicht einmal klar. Es gibt nur Hinweise: zum Beispiel, dass ihre Migräne irgendwie im Stirn-Bereich entsteht.

An diesem Tag folgt der letzte Test. Thomas Muehlberger wird eine kleine Menge Botox in die Muskeln über den Augenbrauen spritzen, 16 Mal wird er zustechen, im Bogen bis zu den Ohren. Wenn die Migräne in den kommenden sechs Wochen ausbleibt, wird Katja Speder vermutlich auch mit der Entfernung des Muskels geholfen sein. Große Hoffnungen.

Viele Experten jedoch bleiben skeptisch. Prinzipiell sei zwar vorstellbar, dass auch die Gesichtsmuskulatur als Auslöser von Migräne eine Rolle spielt, meint der Neurologe Stefan Evers von der Uni Münster, Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft. Aber: „Es fehlen wissenschaftliche Studien, die die Wirksamkeit des Eingriffs zweifelsfrei belegen." Er könne schließlich, wie ein Placebo, nur durch Suggestion wirken. Eigentlich müsse man das Ergebnis langfristiger Forschung abwarten.

Aber Katja Speder will nicht warten. Sie lebt in der ständigen Angst vor dem nächsten Anfall, in der Uni, im Job, an der Tankstelle, im Urlaub. Dann lieber Operation.

Der Arzt sagt: „Das größte Risiko besteht darin, dass der Erfolg ausbleibt.“

Achtung: Die Krankenkassen bezahlen die neuartige Operation noch nicht. Der Botox-„Test“ kostet 400, die Muskelentfernung 3000 Euro. Informationen unter Telefon 96 28 35 03 oder www.park-klinik.com.

Adelheid Müller-Lissner

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