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Berlin: Schöner stehen

Was tun, wenn man zwischen zwei und vier Stunden auf die MoMA-Schau warten muss? An Ideen mangelt es in der Schlange vor der Neuen Nationalgalerie nicht

Schlangestehen ist für Hans-Georg Wolfram aus Rietberg bei Gütersloh ein Ritual. Sicher, zu lange darf es nicht dauern, daher steht der 49-Jährige seit kurz nach zehn vor der Nationalgalerie. „Meine Frau kauft gerade die Tickets.“ So verkürzt sich die gemeinsame Wartezeit vor der MoMA-Ausstellung um mindestens eine Stunde. Aber Hans-Georg Wolfram wartet gerne, nicht nur, weil das Wetter so schön ist. „Da kann man sich auf die Ausstellung einstimmen.“ Und das Geschehen in der Schlange beobachten. Was hier fehlt, findet er, sind Schilder, die angeben, wie lange man noch etwa anstehen muss.

Das allerdings erledigen die MoMA-Aufseher mit beeindruckender Präzision: Als Ingrid Ulbrich aus Friedenau Gründonnerstag gerade anderthalb Stunden unter strömendem Regen vor dem Kartenhäuschen angestanden hatte, lautete die Schätzung des MoMA-Mannes am Einlass: „Drei Stunden und zehn Minuten Wartezeit.“ Diese zusätzlichen Stunden wollten sie und ihre Freundin Gila Scheffler sich dann doch nicht antun, daher sind sie heute morgen um Viertel nach neun gekommen. Allerdings nicht als erste: Die kamen nämlich schon eine Stunde früher. Ihr Zeitvertreib: Ausgiebige Unterhaltung untereinander und mit den Schlangennachbarn.Man kommt schnell ins Gespräch. Da wird mit einer Dame aus Nürnberg über laue Sommernächte geplaudert und über Zeitkarten, die sich wirklich anböten, um die Wartezeit zu verkürzen. „Das gibt es in Boston bei Sonderausstellungen doch auch“, sagt Klaus Schilling aus Wuppertal.

„Zeitkarten sind zu schnell ausverkauft“, sagt André Odier, Projektleiter der Ausstellung. Auch über Nummern wie beim Arbeitsamt hat die Direktion nachgedacht. „Aber wenn einer zu spät kommt und trotzdem reinwill, wird der doch von den Leuten in der Schlange gelyncht.“ Karten ohne Zeitbeschränkung findet er demokratischer, viele Touristen hätten sonst keine Chance, spontan in die Ausstellung zu kommen.

Die Touristen machen den größten Teil der Wartenden aus und haben ihre Wartezeit meist organisiert. Elke Lafontaines Mann ist gerade im Märkischen Museum, nachher will die 43-jährige aus Bochum in die Gemäldegalerie. Die Töchter Christina, Johanna und Theresa sitzen auf Bänken in der Sonne und lesen – und hoffen vor dem Museumsgang noch auf eine kleine Shoppingtour.

Lesen, das ist die Strategie derjenigen, die alleine warten. Zeitungsverkäufer haben das erkannt und laufen die Schlange ab. Aber viele haben schon vorgesorgt und Bücher gezückt. Wie Anita Kiser aus Bern. Die 28-Jährige zeigt der Schlange „Die kalte Schulter“ – von Markus Werner, „ein Schweizer Autor, kann ich nur empfehlen“, sagt sie. Richtig zum Lesen ist sie aber noch nicht gekommen, denn bis eben stand sie vor dem Musiktrio „Barflies“, die mit Kontrabass, Gitarre und Gesang die Schlange bei Laune halten. Etwas weiter spielt eine Querflöte, neben ihm verkauft jemand Brezeln. Für André Odier das höchste der Ess-Gefühle. „Wurstverkäufer schicken wir weg. Das wertet die Ausstellung ab. Essen und Trinken gibt es sonst in den Einstein-Containern.“ Dort reißt der Kundenstrom nicht ab. Auch ein anderer nicht, etwas diskreter, der bis zur Gemäldegalerie führt: dort stehen die offiziellen MoMA-Toiletten.

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