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Berlin: Schon in der DDR sammelte er Pistolen und Handgranaten

Nach der Explosion und dem Fund eines Waffenlagers in Kreuzberg: Werner B. saß sechs Jahre in Haft. Vor zwei Jahren fiel er der Polizei erneut auf

Von Frank Jansen

Alle sind überrascht, nur einer nicht. „Das hab’ ich erwartet“, sagt Karl B. am Telefon, „der is’ ja in das Zeug total vernarrt.“ Der thüringische Singsang senkt sich ein wenig, „ich konnte mir schon denken, dass er das im freien Westen nicht lässt.“ Karl B. fühlt sich in seinen Ahnungen voll und ganz bestätigt. Dass die Berliner Polizei seinen Bruder Werner abgeholt hat und mit ihm das Arsenal für ein paar Tage Bürgerkrieg, haut den Handwerker nicht um. Als er gestern in Gera hört, was am Montag in Kreuzberg passiert ist, reagiert der 66-Jährige wie auf einen drögen Wetterbericht: „Joo?“ Kurzpause. „Joo, joo.“ Dann wird erzählt. Ohne Hektik.

Der Werner habe sechs Jahre gesessen, zu DDR-Zeiten. 1977 sei der Bruder ins Zuchthaus Brandenburg eingeliefert worden, Karl B. erinnert sich genau, „ich hab’ gerade meinen Lada gekriegt“. Werner hatte Handgranaten gebastelt, „einen ganzen Wassereimer voll“. Das Wissen habe er sich „aus Literatur angeeignet“, die Chemikalien in Drogerien besorgt. Karl B. weiß noch, dass die Großeltern, bei denen Werner wohnte, „in Angst und Schrecken“ lebten. Aber sie verrieten den seltsamen Enkel nicht. „Der war selber schuld, dass ihn die Stasi festnahm“, Karl B. klingt jetzt etwas von oben herab. „Der hatte wieder was ausprobiert, auf einem Feld bei der LPG. Sie wissen ja, damals gab’s die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften.“ Auf dem Acker hat es geknallt, „und die von der LPG waren da gerade mit einem Traktor unterwegs“. Als die Genossenschaftsbauern Werner B. zur Rede stellen wollten, bedrohte er sie mit einer Pistole. „Jaa“, sagt Karl B., „das war dann sein Ende.“

Die Stasi holte den Eimer mit den Handgranaten aus dem Schuppen. Und Nitroglyzerin und Pistolen, erzählt Karl B. „Die von der Stasi haben den Hut abgenommen, denn das war alles wirklich gutes Zeug.“ Die Anerkennung kombinierte die Staatssicherheit allerdings mit einem Generalverdacht gegen die ganze Familie. „Ich hatte auch ein paar Sperenzchen mit denen“, sagt Karl B. „Ein Vierteljahr haben die mich beschattet.“ Die Lage war heikel, gerade für ihn. „Ich war selbstständig“, die Stimme hebt sich jetzt etwas, „die Geschichte hätte mich beinahe meine Existenz gekostet.“

Wie kam der acht Jahre jüngere Bruder zu seinem Waffentick? Karl B. überlegt. Den Vater trifft keine Schuld, der starb in Stalingrad, da war Werner noch gar nicht geboren. Die Mutter heiratete später einen Werkzeugmacher, der war friedlich. Er arbeitete im Werkzeugmaschinenkombinat „Union“, wo auch Werner eine Anstellung fand, als Dreher. „Immer wenn die Luft rein war, hat mein Bruder für sich was gedreht“, sagt Karl B. Wahrscheinlich hat er im Kombinat an seinen Pistolen oder Handgranaten herumgebastelt. Aber warum? Karl B. denkt nochmal nach. Dann fällt’s ihm ein. Die Verwandtschaft aus dem Westen übte keinen guten Einfluss aus. „Irgendwann hat ihm ein Onkel aus Bad Hersfeld eine Pistole mitgebracht“, Karl B. lacht mal kurz, „gescheit war das nicht.“

Nach den sechs Jahren im Zuchthaus Brandenburg sei Werner in den Westen abgeschoben worden. „Er war voller Hass auf die DDR“, erinnert sich Karl B. Außerdem sei die Ehe in der Haftzeit zerbrochen. Der Bruder ging nach West-Berlin, „wir hatten nicht mehr viel Kontakt“. Vor etwa zwei Jahren habe ihn Werner in Gera besucht. Es gab Streit. „Für ihn waren die Kommunisten die Verbrecher und der Westen in Ordnung“, sagt Karl B. „Damit war ich nicht ganz einverstanden.“ Werner habe „ihr Ossis, ihr Scheißer“ gesagt. Karl B. reagierte mit „schäm’ dich, du bist ein arbeitsloser Wessi“. Viel mehr wusste er von seinem Bruder nicht. Nur eines war klar: Werner lebte weiter für seine Leidenschaft. „Er hat mir Pistolen gezeigt, die hatte er in Berlin gekriegt. Eine war eine 45er.“ Werner habe erzählt, er sei „in einem Schießverein“. Und der Staatsschutz sei bei ihm gewesen, ohne etwas zu finden, „da war er stolz drauf“. Karl B. warnte: „Denk nich’, dass die doof sind. Du wirst dich noch wundern.“ Die Polizei bestätigt: Vor zwei Jahren habe man erfahren, dass B. „Anleitungen“ geschickt bekam. Doch alles erschien korrekt, der Mann besaß Sprengschein und Waffenkarte. Aber es kam, wie es kommen musste: Am Montag verbrannte sich Werner beim Basteln und flog auf. Karl B. weiß auch, warum: „So schlau war Werner nich’“.

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