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Berlin: Schon Zwölfjährige trinken regelmäßig Hochprozentiges

Experten: Alkoholismus kein Unterschichtsproblem / Auch Gymnasiasten greifen exzessiv zur Flasche

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Mit neun Jahren kostete Max das erste Mal aus den Weingläsern, die seine Eltern nach Familienfesten halb voll stehen ließen. Später, auf dem Gymnasium, bemerkte Max, wie gut er sich fühlte, wenn er anstatt der Hausaufgaben zur Entspannung einen Wodka mit Orangensaft trank. Mit 13 Jahren war der Junge dann ein Fall für die Psychiatrie.

Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei/PDS) erklärte gestern, dass Alkohol nicht die „Droge der Armut und der Benachteiligten“ sei: Missbrauch komme in allen sozialen Schichten vor. Insgesamt sei Alkoholkonsum unter Jugendlichen zwar „eher rückläufig“. Allerdings falle eine Gruppe von Jugendlichen auf, die regelmäßige Besäufnisse als Freizeitspaß verstünden.

Während von Schülern bisher vor allem Bier getrunken wurde, gebe es gerade unter Mittelschichtskindern einen besorgniserregenden Trend zu Hochprozentigem wie Wodka oder Rum, sagt der Kinder- und Jugendpsychiater des Krankenhauskonzerns Vivantes, Oliver Bilke. „Inzwischen gibt es zwölfjährige Alkoholiker, die regelmäßig Wodka trinken.“ Insbesondere depressive Jugendliche nutzten Alkohol zunehmend, um dem Leistungsdruck in Schule und Freizeit zu entfliehen. „Jeder fünfte Jugendliche hat inzwischen Phasen von Depression“, sagte Bilke. Diese Gruppe sei besonders gefährdet. Von den mehr als 700 Jugendlichen, die in Berlin wegen psychologischer Auffälligkeiten stationär therapiert werden, haben 70 auch ein schweres Alkoholproblem. Neu sei, dass folgenschwere Besäufnisse heute auch unter Gymnasiasten üblich seien.

Diesen Trend kann der Jugendforscher Klaus Hurrelmann an der Universität Bielefeld bestätigen. Mehr als 6000 Jugendliche zwischen elf und 16 Jahren hat er bundesweit unter anderem zum Thema Alkohol befragen lassen – sein Fazit: Gerade Gymnasiasten betrinken sich gezielt, um im Vollrausch dem Druck aus der Schule und dem Elternhaus zu entfliehen.

Vor einer neuen Art der Verwahrlosung warnte auch die Berliner Drogenbeauftragte Christine Köhler-Azara angesichts steigenden Alkoholmissbrauchs unter Jugendlichen. In den letzten Jahren könne man „auch in Zehlendorfer Familien eine Wohlstandsverwahrlosung“ beobachten. Kürzlich war bekannt geworden, dass 2005 in Pankow und Steglitz-Zehlendorf die meisten Jugendlichen wegen Alkoholvergiftung in ein Krankenhaus eingeliefert worden waren. Berlinweit waren es in jenem Jahr mit 274 deutlich mehr Berliner Jugendliche als in den Jahren zuvor. Vor sechs Jahren mussten noch 156 Jugendliche nach Alkoholmissbrauch medizinisch behandelt werden.

Um Besäufnissen ihrer Kinder vorzubeugen, sollten Eltern darauf achten, den Kontakt zu ihrem Nachwuchs nicht zu verlieren, raten Experten. „Denn, wenn Kinder zehn, elf Jahre alt sind, haben viele Eltern kaum noch Interesse“, sagte Kinderpsychiater Bilke. Da viele Erwachsene überdies regelmäßig Alkohol trinken, sei eine klare Warnung der Kinder vor dieser Droge unerlässlich. „Eltern müssen deutliche und nachvollziehbare Grenzen setzen.“ Auch Knake-Werner forderte Eltern auf, ihr eigenes Trinkverhalten kritisch zu überprüfen.

Derweil warnt die Techniker Krankenkasse auch vor einem Anstieg des Alkoholmissbrauchs in Brandenburg. Jährlich werden mehr als 500 Jugendliche wegen einer akuten Alkoholvergiftung in eine märkische Klinik eingeliefert.

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