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Berlin: Schreien auf dem Markt

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Otto von Bismarck wollte sich allen Ernstes mit Rudolf Virchow duellieren. Der konservative preußische Ministerpräsident fühlte sich durch Äußerungen des Liberalen während einer scharfen Parlamentsdebatte in seiner Ehre gekränkt. Das Duell unterblieb. Auf Veranlassung von Vermittlern zog Bismarck seine Forderung zurück. Die seltsame Affäre liegt 140 Jahre zurück. Doch die Herren würden sich wundern, mit welchen Grobheiten Politiker sich heutzutage gegenseitig traktieren.

Hier soll nicht von Ausfälligkeiten in hitzigen Debatten die Rede sein. Die rügen die Parlamentspräsidenten als „unparlamentarisch“, und damit ist es gut. So erging es neulich im Abgeordnetenhaus dem FDPFraktionschef Martin Lindner, der den PDS-Politiker Wolfgang Brauer eine „alte kommunistische Dreckschleuder“ genannt hatte. Wirklich bedenklich ist der ruppige Grundton, der vielen gar nicht mehr auffällt. Nehmen wir den Begriff Ein-Euro-Jobber. Er ist zwar griffig, klingt jedoch ziemlich nichtachtend gegenüber den Betroffenen.

Der Berliner CDU-Vorsitzende Ingo Schmitt kann sich als Spitzenkandidaten seiner Partei für die Wahl 2006 „durchaus einen Hochkaräter aus Wirtschaft oder Kulturpolitik vorstellen“. Hoffentlich fühlt sich niemand an der wirtschaftlichen und kulturellen Juwelenbörse verschreckt. Und was sollen die Bürger von dieser Marktschreierei halten?

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Christian Gaebler lässt auch gern die Muskeln spielen. „Sarrazin soll gefälligst die Füße stillhalten“, sprach er vollmundig. Es hörte sich an wie: Sarrazin soll gefälligst die Fresse halten. Das ist natürlich nicht dessen Aufgabe als Finanzsenator. Gaebler wollte ja auch nur sagen, dass er nichts von Thilo Sarrazins Idee hält, den Austritt der BVG aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband zu betreiben.

Justizsenatorin Karin Schubert will den immer wieder aufgeschobenen Bau einer neuen Berliner Haftanstalt in Großbeeren durchsetzen, weil in Berlin viele Haftplätze fehlen. „Die derzeitigen Zustände sind nicht mehr haltbar“, sagte die Senatorin. Prompt konnte sie anderntags die Schlagzeile lesen: „Gefängnisse vor dem Kollaps.“ Doch gemach, mit dem Bau soll nach den Worten von Frau Schubert erst nach 2006 begonnen werden.

Sie reden alle so überspitzt, sie sparen nicht mit Übertreibungen, als würden sie denken, sie könnten sich im Stimmengewirr nur so Gehör verschaffen. Sie machen aus jedem Wind einen Sturm, ach was, einen schweren Orkan. Nicht Meinungsverschiedenheiten und Dispute stören, sondern die Art der Auseinandersetzung. Wie wäre es mit weniger Superlativen und dafür ein bisschen Respekt? Dann wüssten wohl auch die Bürger besser Bescheid, worum es geht.

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