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Currywurst statt Spätzle: "Der Berliner sieht im Schwaben sein Feindbild der Gentrifizierung."

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Schrippenstreit: „Der Urberliner stellte schon immer die Minderheit“

Schrippe statt Wecke: Wolfgang Thierse hat kräftig gegen Schwaben in Berlin ausgeteilt und damit eine Debatte provoziert. Der Stadtsoziologe Andreas Kapphan spricht im Interview über Dialekte, Rassismen – und Butterhörnchen, die man Croissants nennt.

Herr Kapphan, Sie sind Schwabe und leben in Prenzlauer Berg. Was haben Sie bloß mit dem Viertel angestellt, dass es Wolfgang Thierse dort nicht mehr gefällt?

Warum es Herrn Thierse da nicht mehr gefällt, kann ich nicht sagen. Was ich aber sagen kann, ist: Das Thema „Schwaben in Berlin“ ist uralt. Man hat sich schon in den Achtzigerjahren an den Schwaben abgearbeitet, es hieß, wir seien die größte Minderheit hinter den Türken. Aber man muss dazu sagen, dass Schwaben für den normalen Berliner direkt südlich vom Main beginnt und von den Ausmaßen immer etwas größer wahrgenommen wurde, als es tatsächlich ist. Es sind Hessen, Franken, Pfälzer, Badener – eine relativ große Gruppe, die in Berlin als Schwaben gelten.

Warum aber sind ausgerechnet die Schwaben das Feindbild?
Zur Selbstidentifikation braucht jede Gemeinschaft jemanden, von dem sie sich abgrenzen kann. In der Berliner Geschichte hat man das meistens mit den Rheinländern und den Bayern gemacht. Weil vor allem die Bayern aber bis auf ein paar Ausnahmen gar nicht nach Berlin wollten, ist man irgendwann umgeschwenkt zu den Schwaben. Und gleichzeitig haben die Schwaben keinen guten Ruf. Sie gelten als wohlhabend, aber geizig. Außerdem sprechen sie oft einen starken Dialekt. Das ist in einer Stadt wie Berlin mit einer geringen Wertschätzung für Dialekt vielen ein Dorn im Auge.

Hat Thierses Schelte auch einen sachlichen Hintergrund?
Es hilft vielen Menschen bei der Herausbildung einer Identität, wenn sie sich einer Gruppe zugehörig fühlen können. Und bei Wolfgang Thierse scheint das der Prenzlauer Berger zu sein, in der spezifischen Ausprägung einer Zeit vor 1990.

Andreas Kapphan ist in der Nähe Stuttgarts aufgewachsen und lebt seit 25 Jahren in Berlin. Der 46-Jährige ist Soziologe mit dem Schwerpunkt Stadtsoziologie und Migrationsforschung.
Andreas Kapphan ist in der Nähe Stuttgarts aufgewachsen und lebt seit 25 Jahren in Berlin. Der 46-Jährige ist Soziologe mit dem Schwerpunkt Stadtsoziologie und Migrationsforschung.

© promo

Schwingt die Angst vor einer Vertreibung aus der Innenstadt beim Bashing mit?
Im Prenzlauer Berg wird Gentrifizierung stark mit Schwaben in Verbindung gebracht. De facto ist Gentrifizierung aber ein ökonomischer Vorgang, bei dem Mietpreise steigen, weil mehr Leute als früher ihr Geld in Immobilien anlegen. Das mag vielleicht in Einzelfällen auch der süddeutsche Unternehmer sein, der sein Geld hier investiert. Aber das sind auch Berliner selber und Investoren aus der ganzen Welt. Es handelt sich um einen sozialen Konflikt, keinen ethnischen. Die Graffiti „Schwaben raus“, die man im Prenzlauer Berg sieht, lehnen sich an unschönes Gedankengut an und führen in die Irre. Und es ist mir nicht verständlich, dass diese Rassismen regelmäßig auch von der Politik bedient werden.

Herta Heuwer, die Erfinderin der Currywurst, ist selbst keine gebürtige Berlinerin gewesen. Was sagt das aus über eine Stadt, in der selbst bekannte Bewohner nicht von hier sind?
Berlin war schon immer eine Einwanderungsstadt. Da schmückt man sich eben auch mit den Federn derjenigen, die nicht von hier sind. Im Übrigen hat der Berliner als Menschentyp auch nicht den besten Ruf. Man muss nur mal nach Brandenburg fahren, da gelten Berliner als überheblich und kaltschnäuzig. Große Freundlichkeit wird ihnen eigentlich nicht nachgesagt. Kurioserweise hat das aber keine Auswirkung auf das Bild der Stadt. Berlin als Stadt hat ein sehr positives Image, der Berliner selbst aber nicht.

Thierse ist in Breslau geboren und nach dem Abitur nach Berlin gezogen. Wer ist eigentlich der Urberliner, wenn schon Thierse es nicht ist?
Berliner ist nach Definition derjenige, der hier geboren wurde. Ich finde aber, man muss auch Berliner sein dürfen, wenn man hier nicht geboren wurde. Der Urberliner hat das Problem, in einer Stadt zu leben, in der er schon immer die Minderheit gestellt hat. Auch vor hundert Jahren war in etwa ein Drittel der Berliner hier geboren, der Rest war zugewandert. Damals vor allem aus den Ostgebieten des damaligen Deutschen Reiches, natürlich auch aus den ländlichen Teilen rund um Berlin.

Welche Traditionen prägen das Stadtleben?
Berlin hat sich immer als eine weltoffene Stadt gesehen und damit immer einen gewissen Widerspruch gelebt: Einerseits eine großstädtische Gelassenheit bis hin zur Gleichgültigkeit gegenüber Fremden zu praktizieren, andererseits eine gewisse Berliner Schnauze zu haben, die immer kommentiert, was andere so tun.

Was ist eigentlich provinzieller: Wecke statt Schrippe zu sagen oder Menschen vorschreiben zu wollen, wie sie Brötchen nennen sollen?
Wer gute Wecken anbietet, soll sie gerne Wecken nennen. Wenn jemand gute Croissants verkauft, soll er sie Croissants nennen. Wir sagen ja auch nicht Butterhörnchen, wenn wir Croissants meinen.

Das Interview führte Tiemo Rink

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