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Berlin: Schröder kann Berlins SPD nicht schocken

Gegen den Bundestrend gibt es in der Hauptstadt keine Austrittswelle – denn hier ist man Schlimmeres gewohnt

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Die Stimmung ist nicht besonders gut, aber von einer Austrittswelle will in der Berliner SPD keiner reden. Die Mitgliedszahlen bewegen sich zwar schon „seit Jahrzehnten in einem Sinkflug, der nur zwischen 1990 und 1992 kurz aufgehalten werden konnte“, wie es in einem internen Papier zur Mitgliederentwicklung heißt. Aber die Agenda 2010 hat keinen Absturz herbeigeführt; jedenfalls nicht im hauptstädtischen SPD-Landesverband.

In diesem Jahr haben, bis Ende September, 620 Sozialdemokraten ihre Partei verlassen. Wenn nicht im letzten Quartal noch eine große Fluchtbewegung einsetzt, werden die Austritte 2003 unterhalb des langjährigen Mittels liegen. Im Aufbruchjahr 2000, als die Berliner SPD wegen des Parteispenden- und Bankenskandals das Regierungsbündnis mit der CDU aufkündigte, gaben nur 564 SPD-Mitglieder das Parteibuch zurück. Dafür traten 1999, als die Sozis bei der Abgeordnetenhauswahl eine furchtbare Schlappe erlitten und das Joch der großen Koalition schmerzhaft drückte, immerhin 1140 Genossen aus.

Die Fluktuation des Mitgliederbestands ist in jeder Partei ein Seismograph der inneren Befindlichkeit. So gesehen ist die Landes-SPD einigermaßen im Lot. Quälende Reform- und Spardiskussionen führen die Berliner Sozialdemokraten schon seit Mitte der neunziger Jahre, die Seele der Partei hat sich eine schützende Hornhaut zugelegt. „Trotzdem ist es nicht einfach, die Leute bei der Stange zu halten“, sagt der Kreuzberger SPD-Abgeordnete Stefan Zackenfels. Nicht nur die Basis, auch viele Funktionäre hadern mit der Bundespartei. Nach den Ortsvereins-Sitzungen, beim Bier, müssen die Vorstände – besonders in den traditionell linken Parteigliederungen – um die unzufriedenen, frustrierten Mitglieder kämpfen.

Es ist auch nicht so, dass tausende Neumitglieder der Partei die Bude einrennen. In diesem Jahr rechnet der SPD-Landesvorstand mit etwa 450 Zugängen; in den letzten vier Jahren waren es jeweils mehr. Was bewegt einen Berliner dazu, in die SPD einzutreten? Zum einen die Popularität des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, hat der Landesvorstand herausgefunden. Zum anderen, man mag es kaum glauben: die Agenda 2010. In den Neumitglieder-Seminaren wurde die aktuelle Reformdebatte als Hauptmotiv für den Eintritt genannt. Das müssen Menschen sein, die aus einem besonderen Holz geschnitzt sind. Oder sie folgen den Worten Kurt Tucholskys: „In mein’ Verein bin ich hineingetreten, weil mich ein alter Freund darum gebeten…“ Wie dem auch sei. Die Berliner SPD lebt mit „moderaten Zuwächsen und normalen Austritten“, wie es Christian Gaebler formuliert, der Vorsitzender des mitgliederstarken und aufmüpfigen Kreisverbands Charlottenburg-Wilmersdorf ist. Gerade aus dieser Parteiecke kam in den vergangenen Monaten heftige Kritik am Schlingerkurs der Bundes-SPD und dem verminten Konsolidierungspfad der hiesigen SPD-Führung.

Aber: „Berlin ist nun mal ein anderes Pflaster“, sagt Gaebler. Reform- und sparerprobt und mit einer Regierung, der nicht jeden Tag etwas Neues einfällt. Das kann auch Vorteile haben. Die Stimmung an der Parteibasis umschreibt der SPD-Chef aus der West-City deshalb mit der gewachsenen „Einsicht in die Notwendigkeit“. Mehr Austritte als jetzt hat es übrigens nicht nur 1999, sondern auch 2001 gegeben, als sich die SPD mit der PDS zusammentat. Vor allem in Ost-Berlin ging das manchem Genossen über die Hutschnur, aber eine Austrittswelle gab es selbst damals nicht. Die SPD hat ein ganz anderes Problem: Sie ist alt, ihr sterben die Mitglieder weg.

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