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Berlin: Schröder taugt nicht mehr als Sündenbock

Das gute Abschneiden ihrer Partei wie die deutliche Bestätigung der Großen Koalition bei den Bremer Bürgerschaftswahlen hat an der Berliner SPD-Spitze unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Vor dem Hintergrund stetig sinkender Umfragewerte fordert Fraktionschef Klaus Böger, die Erfolge der SPD innerhalb der Großen Koalition stärker als bislang herauszustellen.

Das gute Abschneiden ihrer Partei wie die deutliche Bestätigung der Großen Koalition bei den Bremer Bürgerschaftswahlen hat an der Berliner SPD-Spitze unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Vor dem Hintergrund stetig sinkender Umfragewerte fordert Fraktionschef Klaus Böger, die Erfolge der SPD innerhalb der Großen Koalition stärker als bislang herauszustellen. SPD-Spitzenkandidat Walter Momper erhofft sich Rückenwind für die SPD allgemein, und Parteichef Peter Strieder sieht bei aller Ermutigung wenig Vergleichbarkeit der Ausgangslagen. Die SPD forderte gestern die Einberufung des Koalitionsausschusses, um eine Reihe schwelender Konflikte zu lösen.

Der stellvertretende Parteivorsitzende Klaus Uwe Benneter folgerte nach dem Bremer Resultat, daß die Berliner Sozialdemokraten sich nicht mehr "auf den schlechten Bundestrend berufen können". Benneter gab gestern nach einem Mittagessen mit Bundeskanzler Gerhard Schröder die Parole aus, die Berliner SPD müsse sich nun "auf die eigenen Kräfte besinnen". Die Zeiten, in denen schlechte Umfragewerte noch mit dem negativen Erscheinungsbild der rot-grünen Koalition in Bonn begründet werden konnten, sind laut Benneter nach dem Bremer Ergebnis endgültig vorbei. Die SPD müsse dem Bremer Beispiel folgen und dem Wähler deutlich machen, daß sie für eine "überzeugende und glaubwürdige Politik" stehe. Niemand in der Partei könne sich nun auf Bonn berufen. Es gelte, die eigenen Vorzüge in den Vordergrund zu stellen.

Spitzenkandidat Walter Momper wollte den Wahlausgang in seiner Bremer Heimat, wo seine Eltern und große Teile der Familie noch leben, zunächst als "Rückenwind für die SPD insgesamt" interpretiert wissen. Und doch sei die Situation an der Weser eine gänzlich andere als in Berlin, weil dort doch eine "hoch anerkannte" Große Koalition dabei sei, "die Dinge wirklich voranzubringen" und dies auch vom Wähler honoriert worden sei. In Berlin sei alles ganz anders. Hier sei die SPD seit Jahren die "treibende Kraft" und habe zahlreiche Reformen auch vorangebracht. Letztlich sei aber die CDU das "retardierende Element", das ständig Reformen zu blockieren versuche. Insofern sei eine Vergleichbarkeit mit der Arbeit der Großen Koalition in Bremen auch nicht ansatzweise gegeben.

"Keinerlei Rückschlüsse" mochte gestern der SPD-Vorsitzende Peter Strieder ziehen. Es sei zwar bemerkenswert wie untypisch, daß die SPD kurz nach der gewonnenen Bundestagswahl auch in einem Bundesland deutlich an Stimmen zulegen kann. Doch in Bremen sei die Ausgangslage aufgrund einer effizient arbeitenden Großen Koalition und einem überzeugenden Bürgermeister eine gänzlich andere als in Berlin. "In Bremen wollen die Wähler eine Große Koalition, das ist hier ganz und gar nicht der Fall", so Strieder. Für die Berliner SPD gelte es nun, auch das Positive und das Erreichte nach neun Jahren an der Regierung nach außen darzustellen: "Wir müssen deutlich machen, daß es auch Erfolge gegeben hat." Als Beispiel nannte Strieder "den Bau von 150 000 neuen Wohnungen und die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich". Nach der Aufbauleistung nach der Wende beginne nun eine neue Phase in der Stadt, und für diese "neue Richtung der Offenheit steht Walter Momper". Den Einwand, daß Momper in den Sympathiewerten erheblich hinterherhinkt, läßt Strieder nicht gelten: "Sympathiewerte sind keine Politikwerte."

Fraktionschef Klaus Böger kritisierte vorsichtig die eigene Partei, die nicht bereit sei, die eigenen Leistungen genügend herauszuheben, drosch aber in erster Linie auf den Koalitionspartner CDU ein. Dieser verlasse immer wieder den gemeinsamen Boden, schiele nach der vermeintlichen Wählergunst und unterminiere die Handlungsfähigkeit der Koalition. Aus diesem Grund drängt die SPD auch auf die Einberufung eines Koalitionsausschusses, in dem die aktuellen Konfliktthemen wie Religionsunterricht und die Zukunft des Flughafens Tempelhof geklärt werden sollen.

Omaknutscher und großer Umarmer

Kann Momper so für sich werben wie Scherf? Und warum funktioniert in Bremen die große Koalition so gut, die in Berlin so unbeliebt ist? Ein Wahlkampfblick von der Spree an die Weser

VON ULRICH ZAWATKA-GERLACH

Drei Großplakate, von allen schaut der SPD-Spitzenkandidat herab und auf jedem steht ein flotter Spruch: "Ich liebe diese Stadt, ich mag die Menschen, ich arbeite gern für B. . ." Und: "Ich verspreche, die positiven Kräfte in der Stadt zusammenzuführen". Oder auch: "Nur wer zuhört, versteht, was die Menschen bewegt." Noch nicht gesehen, diese Wahlwerbung, obwohl doch am 10. Oktober Abgeordnetenhauswahl ist? Kein Wunder, denn die Plakate hängen in Bremen und werden schon wieder eingesammelt, denn der Regierungschef und SPD-Mann Henning Scherf hat am Sonntag die Bürgerschaftswahl haushoch gewonnen. Gewonnen hat auch der Koalitionspartner CDU und gemeinsam freut man sich.

In Berlin könnte so etwas nicht passieren. Eberhard Diepgen (CDU) und Walter Momper (SPD) würden ausgelacht, wenn sie solche Sprüche mit ihrem Konterfei verbänden, denn soviel Lokalpatriotismus und Landesvatertum nähmen die Wähler allen beiden nicht ab. Es käme auch niemand auf die Idee, Diepgen einen "Omaknutscher" zu nennen oder Momper als "großen Umarmer" zu loben. Auch der Witz: "Was unterscheidet Henning Scherf von einem Düsenjäger? Wenn Scherf startet, erzeugt er Konsensstreifen", wäre in Berlin deplaziert. Hier fährt der Bürgermeister auch nicht mit dem Fahrrad über den Rathausplatz und verzichtet freiwillig auf den Dienstwagen.

Von Bremen lernen heißt also siegen lernen. Aber das war auch in dem akademisch und kleinbürgerlich geprägten Hansestädtchen, das manche spöttisch ein "Bonsai-Bundesland" nennen, nicht immer so. Senatssprecher Klaus Sondergeld erinnert sich noch gut an die Ampel-Koalition, als SPD, Grüne und FDP 1991 - 1995 gemeinsam regierten. "Es wurde einiges zuwege gebracht, aber bei jeder Entscheidung öffentlicher Streit zelebriert." Der Weser-Kurier, die Regionalzeitung in Bremen, verlor damals Auflage, weil es die Leser satt hatten, den Dauerzwist täglich auf der ersten Seite zu konsumieren. Die Landespolitik wurde zeitweise auf die dritte Seite verbannt.

Diese Art der Regierungsarbeit kommt den Berlinern irgendwie bekannt vor. Was in Bremen das Ampel-Gehampel war, ist hierzulande die Große Koalitions-Konfusion. Daß CDU und SPD auch anders können, und zwar gemeinsam, haben wiederum die Bremer vorgelebt. Nicht die positive Bilanz der Regierungsarbeit habe den durchschlagenden Wählererfolg gebracht, sagt Sondergeld. "Es war der Politikstil: die große Kompromißfähigkeit, die Verständigungs- und Konsensbereitschaft." Drei Wochen vor der Wahl sei es den beiden Regierungsparteien noch gelungen, sich in aller Stille auf ein 500-Millionen-Investitionsprogramm zu einigen, um es anschließend einträchtig der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Chemie zwischen den handelnden Personen stimme. "Ausreißer" gäbe es nicht.

Hinzu kommt - und auch davon kann sich Berlin eine Scheibe abschneiden: Der Kurs der Haushaltskonsolidierung und Wirtschaftsförderung im hochverschuldeten Bremen ist zwischen den Koalitionspartnern unumstritten und hat Erfolge gezeitigt, die für die Bürger spürbar und sichtbar sind. Konsumtive Ausgaben senken, Personalkosten im öffentlichen Dienst konstant halten, Investitionsausgaben hochfahren, lautet die Devise. Aus dem Verkauf öffentlichen Vermögens wird ein Stadtreparaturfonds finanziert. Der Schuldenberg wurde nicht abgebaut, ist aber auch nicht höher geworden. 1997 nahm Bremen mit 2,5 Prozent staatlich gefördertem Wirtschaftswachstum bundesweit die Spitzenposition ein, 1998 lag die Weserstadt mit 3,4 Prozent immerhin auf Platz 3.

In Berlin stehen zwar noch mehr Baukräne als in Bremen, aber die Zufriedenheit mit der Regierungsarbeit und das Vertrauen in die Zukunft ist weniger ausgeprägt. Soweit positive Stimmungen vorhanden sind, färben sie keineswegs auf den SPD-Spitzenmann Momper ab, der eine lange politische Zwangspause hinter sich hat, sondern auf den CDU-Landeschef und Regierenden Bürgermeister Diepgen. Langjähriger Dienst am Kunden macht sich bezahlt. Der Bremer Scherf sitzt sogar länger als Diepgen, seit 1978, in der Regierung und pflückte als Sozialsenator nebenbei Kaffee in Nicaragua.

Ein sympathischer Politiker, mit allen Wassern gewaschen, erdnah und sogar musikalisch - solche Spitzenkandidaten gibt es in Berlin zur Zeit nicht. "Themenplakate haben wir gar nicht erst geklebt, nur Henning Scherf", erläutern die Genossen im Bremer SPD-Landesverband die ebenso simple wie erfolgreiche Wahlkampfstrategie. Nur der Ex-Bürgermeister Hans Koschnik durfte mit auf ein Plakat und artig einen Spruch aufsagen: "Wer Henning Scherf will, muß Henning Scherf wählen."

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