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Berlin: Schrubben zum Gedenken

Künstler reinigten ihre Werke an der East Side Gallery und verkauften das erste von 99 Mauersegmenten

„Ist ein super Gefühl", sagt Thierry Noir und grinst. Für den französischen Künstler, der seit 1982 in Kreuzberg lebt, schließt sich an diesem 9. November ein Kreis. Ein Verladekran hievt ein Mauerstück auf den Vorplatz des Hotel Kolumbus in Hohenschönhausen. Auf den 3,60 Meter hohen und 1,20 breiten Betonquader hat Noir einen seiner berühmten Köpfe gepinselt: Sympathische Rundschädel, die aus großen Augen leicht melancholisch in die Welt blicken. „Denk mal - die Berliner Mauer 99 x im Original" heißt das Projekt, das Noir gemeinsam mit anderen aus der Taufe gehoben hat. Die 99 von ihm bunt bemalten Mauerklötze sollen in ganz Europa an die Berliner Mauer erinnern und für das Kinderhilfswerk Unicef und andere gute Zwecke verkauft werden.

Dass der erste Quader ausgerechnet vor dem Hotel in der Genslerstraße steht, ist kein Zufall: In dem einstigen Wohnheim der Staatssicherheit hielt Erich Mielke noch im Herbst 1989 eine Sicherheitskonferenz ab.

Thierry Noir begann schon im April 1984, seine Köpfe auf die Mauer zu malen. „Passanten haben mir vorgeworfen, ich wollte die Mauer verschönern. Aber ich wollte einfach gegen die Tristesse anmalen. Ich musste malen, um nicht irre zu werden".

Nach der Aktion am Hotel Kolumbus machte sich der Künstler gestern auf zur East Side Gallery. Dort hatte Mauermaler Kani Alavi zum Gedenken an die Maueröffnung Kollegen zusammengetrommelt, die 1990 den Mauerabschnitt zwischen Warschauer Brücke und Ostbahnhof zum Kunstwerk umgestalteten. Nun wollten sie Schäden und Schmierereien an ihren Bildern beseitigen. Neben Noirs Köpfen hat damals die Dekorationsmalerin Birgit Kinder einen Trabi dargestellt, der die Mauer durchbricht. Nun steht sie dort und schrubbt und sprayt die Graffiti hinweg.

„Gegen lustige Sprüche aus aller Welt habe ich ja nichts. Aber die Schmierereien auf niedrigem geistigen Niveau müssen nicht sein", sagt sie. Dabei sind Schmierereien noch das geringste Problem für die Malereien aus der Wendezeit. So hämmerte ein Unbekannter das von Birgit Kinder angedeutete Loch in der Mauer der East Side Gallery mit einem Meißel tatsächlich hinein. Mehrfach musste die Malerin ihr Trabi-Bild seit 1990 auf eigene Kosten restaurieren.

Etwa hundertfünfzig Meter weiter links malte Pierre-Paul Maillé einen umzäunten Swimmingpool auf die Mauer, um an die Unfreiheit in der Deutschen Demokratischen Republik zu erinnern. Doch von dem Werk des Bildhauers ist durch Beschädigungen fast nichts mehr übrig geblieben. „Ich habe noch nie ein so kaputtes Bild von mir gesehen", sagt Maillé nüchtern. Regen hat den Beton aufgeweicht und die Stahlstreben zum Rosten gebracht.

Deshalb ist das Bild des Franzosen auch nicht im neuen Katalog zur East Side Gallery zu sehen, der gestern vom Nicolai-Verlag präsentiert wurde. Aber Maillé hat seinen umzäunten Swimming-Pool noch nicht aufgegeben. Denn Stadtentwicklungssenator Strieder (SPD) hat unlängst 50 000 Euro für die Sanierung des Denkmals spendiert. Wenn der Künstler davon was abbekommt, will er sein Bild in drei Tagen nachmalen. Mit Grausen denkt er allerdings an die viel befahrene Mühlenstraße: Dort ist es ihm zum Arbeiten „einfach zu laut“.

Frank Thadeusz

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