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Berlin: Schüler als Abfallsammler: Ungeheuerlichkeit oder gute Idee?

Senat will Jugendliche im Frühjahrsputz einspannen VON HANS TOEPPEN Berlin. "Bürger, greift nach dem Besen" - so könnte das Motto des Frühjahrsputzes heißen, den der Senat der Stadt für die nächsten Wochen verordnet hat.

Senat will Jugendliche im Frühjahrsputz einspannen VON HANS TOEPPEN

Berlin. "Bürger, greift nach dem Besen" - so könnte das Motto des Frühjahrsputzes heißen, den der Senat der Stadt für die nächsten Wochen verordnet hat.Berlin soll "grundgereinigt" werden, hat Umweltsenator Strieder den Bezirksbürgermeistern gerade mitgeteilt.Mit eingeplant in diesem Spiel sind, jedenfalls nach den Vorstellungen des "Saubere-Stadt"-Senats, die 400.000 Schüler Berlins.Sie sollen ihr Umweltbewußtsein schärfen und Abfall sammeln. Tiergartens Jugendstadträtin Elisa Rodé (Bündnis90/Grüne) hat bereits protestiert und eine Ungeheuerlichkeit darin gesehen, "wenn Erstkläßler Bierflaschen aus Grünanlagen entfernen müßten".Landesschulrat Hansjürgen Pokall legte gestern aber Wert darauf, daß die Schüler nicht als billige Reinigungskräfte mißbraucht werden dürften.Wenn sie Grünanlagen säubern, dann soll dies freiwillig und nur im Rahmen des Umweltunterrichts geschehen.Unter diesen Bedingungen erwartet der Landesschulrat aber sogar langfristige Wirkungen: "Wenn die Kinder aufräumen, werden sie vielleicht ein Gefühl dafür bekommen, daß man nicht alles in die Gegend wirft".Pädagogische Effekte könnten, wie manche Beobachter meinen, vor allem bei der Reinigung des eigenen Schulgeländes entstehen: "Man muß den Kindern die Verantwortung für den eigenen Raum nahebringen", sagt Pokall. Der Umweltsenator erwartet, daß die Grünflächenämter der Bezirke die Parkanlagen der Stadt bis Ostern in "einen abfallfreien Zustand versetzen".Schulklassen, Verbände und Vereine sind nur zur Unterstützung gedacht.Sowohl Umwelt- als auch Schulverwaltung denken aber inzwischen schon darüber nach, ob man den kindlichen Säuberungseifer nicht mit Wettbewerben anfeuern könnte.Ganz neu ist die Idee nicht: Wandertage der Schulen sind schon früher dazu benutzt worden, die Wälder der Stadt von Gerümpel zu säubern, womit der Senat zwei Fliegen geschlagen hat.Die Forsten verloren, jedenfalls für kurze Zeit, ihren Müllkippen-Charakter, und die Jugendlichen lernten etwas über eine saubere Natur. Jetzt sollten sie möglichst auch noch lernen, ihre eigene Schule sauber zu halten, meint Strieders Sprecher Joachim Günther.Das ist ein Gedanke, der bei Irmgard Franke-Dressler beim Landesschulbeirat sofort auf Resonanz trifft."Wenn sie den Dreck aufräumen, den sie gemacht haben, ist das okay.Der Mist, der da rumliegt, ist ja von ihnen", sagt die Zehlendorfer Elternvertreterin.Bei der Reinigung öffentlicher Grünanlagen müsse man aber vorsichtiger sein.Die Elternvertreterin kann sich das nur im Rahmen von Projekttagen vorstellen, "mit Vor- und Nachbereitung im Unterricht". Fast genauso reagiert der Steglitzer Volksbildungsstadtrat Thomas Härtel (SPD)."Man darf nicht immer nur nach der Stadtreinigung rufen", sagt Härtel.Nur dürfe nicht der Eindruck entstehen, daß die Schüler zum Saubermachen mißbraucht würden.Die Schulen sollten die Sache also selbst pädagogisch organisieren, dann "wächst auch die Identität der Jugendlichen mit ihrer Umwelt".Härtel denkt selbst schon über ein Bonus- und Malus-System an seinen Schulen und Freizeiteinrichtungen nach.Wo Reinigungsmittel eingespart werden, soll das Geld vielleicht in begehrte Dinge wie Videoanlagen fließen. Fundamentalkritik kommt allerdings vom grünen Bezirksbürgermeister Franz Schulz in Kreuzberg.Das Anliegen sei "ehrenwert, aber etwas heuchlerisch und von hinten aufgezäumt", meint Schulz.Wenn der Senat bei der Stadtreinigung und bei den Bezirken Mittel streiche, "dann kann er die Kinder und Jugendlichen nicht zum Ausgleich mißbrauchen".Die Grünanlagen bekomme man nur sauber, wenn die Einstellung der Bürger zu ihnen sich ändere. "Wir konnten den Dreck nicht mehr sehen", sagt die Schulleiterin(emv).Mit Schrubbern, Putzlappen und Eimern erschienen die rund 350 Kinder der Schöneberger Ruppin-Grundschule gestern zum Unterricht.Statt Deutsch oder Rechnen stand Putzen auf dem Stundenplan im Gebäude an der Offenbacher Straße."Wir konnten den Dreck einfach nicht mehr sehen", sagte Schulleiterin Regina Tlapec.Die Gesamtelternkonferenz hatte die Reinigungsaktion vor kurzem beschlossen, protestierte aber gleichzeitig gegen die Kürzungen im Sauberkeitsbudget."Die Schulpflicht wurde nicht erfunden, um öffentliche Gebäude von Kindern reinigen zu lassen", kritisierte Gesamtelternvertreter Harald Binder. Seit Januar wurden die Putzstunden in dem wilhelminischen Gebäude nach Auskunft der Schulleiterin um die Hälfte reduziert."Aufs Klassenzimmer umgerechnet bedeutet dies, daß pro Raum nur rund fünf Minuten Reinigungszeit zur Verfügung stehen", erläuterte Regina Tlapec.Die Toiletten würden aber täglich geputzt.Bei staubigen Fensterbänken oder Schränken greifen die Lehrer längst selbst zum Lappen. Einige Schüler saßen gestern während der Putzaktion über ihren Arbeitsbögen.Ihre Eltern hatten nicht zugestimmt, daß sie die Schule säubern."Diese Haltung kann ich auch verstehen", reagierte Gesamtelternvertreter Binder.Er schlägt stattdessen vor, daß sich Beamte in Rathäusern und Finanzämtern als Putzpersonal betätigen."Mit dem Geld, das auf diese Weise eingespart wird, könnte der Schul-Etat für unsere Kinder aufgestockt werden".

HANS TOEPPEN

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