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Berlin: Schüler aus dem Umland unerwünscht

Bezirksbehörden gehen gegen Eltern aus Brandenburg vor, die ihre Kinder mit allen Tricks in Berliner Schulen unterbringen wollen

Zehntausende Familien sind seit der Wende aus Berlin nach Brandenburg gezogen, viele bereuen es bereits: Beim Wechsel ihrer Kinder zur Oberschule bemerken sie, dass das Angebot im Umland nicht an Berlin heranreicht. Mit Hilfe von Scheinadressen versuchen sie, doch noch einen Schulplatz in der Stadt zu ergattern. Oft vergeblich: Einige von ihnen werden von Berliner Eltern verraten, andere scheitern an den Detektiv-Methoden der Bezirke. Tempelhof-Schöneberg etwa verschickte unlängst Briefe an Lichtenrader Schulen, um sie von der Aufnahme brandenburgischer Kinder abzuhalten. „Warnhinweis“ prangte in Großbuchstaben über dem Schreiben von Schulamtsleiter Horst Getschmann. Darunter listete er Kinder mit Vor- und Nachnamen sowie Geburtsdatum auf, und wies die Schulen an, sie „auf das Oberschulangebot ihres Landkreises zu verweisen“. Anmeldeversuche seien zurückzuweisen.

Andere Bezirke tragen weniger dick auf. Er habe „ein schlechtes Gewissen“, wenn er brandenburgische Kinder abweisen müsse, die auf eine nur fußläufig entfernte Berliner Schule gehen wollten, sagt Getschmanns Reinickendorfer Kollege Peter Wiese. Allerdings ist auch er an Recht und Gesetz gebunden. Maßgeblich für den Umgang mit den Kindern aus dem Nachbarland ist das Berlin-Brandenburgische Schülerabkommen. Demnach können Brandenburger Kinder grundsätzlich von der Schulpflicht in ihren Gemeinden freigestellt werden, wenn sie nachweisen, dass Brandenburg ihre Nachfrage nicht befriedigen kann. Dies ist etwa der Fall, wenn das nächste Gymnasium zu weit ist oder wenn es die gewünschte Fremdsprache oder das gewünschte Schulprofil nicht gibt. Allerdings heißt es einschränkend, dass Brandenburger Kinder in Berlin nur berücksichtigt werden dürfen, wenn es freie Kapazitäten gibt: In guten Schulen ist das selten der Fall.

Für die Brandenburger Eltern ist dies ein Schock. Beim Umzug aus Berlin ins Umland achteten junge Familien meist nur auf das Angebot an Kitas und Grundschulen. Ansonsten vertrauten sie auf die geplante Länderfusion. Wenn sie mit der errungenen „Freistellung“ aus Brandenburg in Berlins Schulämtern auftauchen, erleben sie, dass dieses Papier nichts wert ist. „Ich bin monatelang von einer Schule und einem Beamten zum anderen gelaufen“, sagt Axel Weyland, Vater von drei Kindern, über seine Suche nach einem Gymnasium für den ältesten Sohn. Die umliegenden Gymnasien in Königs Wusterhausen, Blankenfelde oder Eichwalde kamen wegen der Entfernung von 15 bis 20 Kilometern oder der schlechten Verkehrsanbindung nicht in Frage. Die Lichtenrader Gymnasien wären von Großziethen aus per Fahrrad zu erreichen gewesen. Doch Berlin lehnte ab und so zogen Weylands nach vier Jahren zurück in die Stadt.

Wer sich damit nicht abfinden will, greift zur Deckadresse. Er meldet sein Kind zum Schein bei Freunden oder Großeltern in Berlin an. Doch die Schulämter sehen genau hin, wenn ein Kind kurz vor der Schulanmeldefrist den Wohnsitz gewechselt hat. Schulamtsleiter Getschmann aus Tempelhof-Schöneberg lässt sich von der Meldebehörde alle Umzüge zwischen Januar und Februar geben, um Scheinanmeldungen auf die Spur zu kommen. 2005 wurde er 20 Mal fündig. Das Auffinden dieser Fälle sei sein „Hobby“, sagt Getschmann. Sein Vorgesetzter, Volksbildungsstadtrat Dieter Hapel, ging auf Distanz, als die SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Merkel ihm brieflich ihre Empörung über Getschmanns „Warnhinweise" mitteilte. Sie befand, das Schreiben erinnere an einen „Steckbrief“. Hapel sagte, dass sein Mitarbeiter „wohl über das Ziel hinausgeschossen“ sei. In der Sache liege er aber richtig. Das findet auch Merkel. Wer in Berlin keine Steuern zahle, könne nicht davon ausgehen, dass er uneingeschränkt auf das hiesige Schulsystem Anspruch habe.

Auch in Zehlendorf-Steglitz, Neukölln und Spandau berichten die Schulämter, dass sie bestrebt sind, Deckadressen aufzufinden. In Neukölln etwa seien alle drei Stadtrand-Gymnasien überlaufen, sagt Volksbildungsstadtrat Wolfgang Schimmang (SPD). Da sei es für Brandenburger „fast ausgeschlossen“ Einlass zu finden. Er weiß von fünf „aufgeflogenen“ Deckadressen. Jutta Prahl vom Reinickendorfer Schulamt sagt, dass Berliner Eltern Brandenburger denunziert hätten, um die Aufnahmechancen ihrer eigenen Kinder zu erhöhen. Auch andere Bezirke kennen solche Vorfälle. Wer es sich leisten kann, kauft sich eine kleine Eigentumswohnung, damit die Deckadresse nicht auffliegt. Zu dieser Lösung griffen Eltern aus dem nördlichen Umland, die in eine Reinickendorfer Schule wollten. Andere kamen am Evangelischen Gymnasium Frohnau unter: Private Schulen dürfen Brandenburger Kinder ohne Berliner Adresse aufnehmen. Allerdings ist das Evangelische Gymnasium total überlaufen.

„Eltern trennen sich sogar zum Schein, um eine zweite Adresse in Berlin plausibel zu machen“, berichtet Elmar Kampmann von der besonders nachgefragten Martin-Buber-Gesamtschule in Spandau. Seine Schule liegt 500 Meter von der Landesgrenze entfernt, hat aber schon allein aus Berlin viel zu viele Anmeldungen. Er habe „Spitzenleute“ aus Brandenburg ablehnen müssen, bedauert Kampmann. Längst laufen die Widersprüche kämpferischer Eltern, die doch noch irgendwie an „ihre“ Berliner Schule kommen wollen.

Das Brandenburgische Bildungsministerium sieht sich nicht in der Schuld. Angesichts des Geburtenrückgangs gebe es genügend Schulplätze, sagt Sprecher Thomas Hainz. Neue Gymnasien sind im Umland nicht geplant – obwohl Brandenburg bis 2020 rund 50000 weitere Zuzüge aus Berlin ins Umland erwartet.

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