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Berlin: "Schüler suchen Lehrer": In Selbsthilfe gegen den Lehrermangel

Internet-Freak Steffen Müller hat einen Traum: dass ein Lehrer vor ihm steht, der "mal was weiß, was ich noch nicht weiß". Aber er ist schon froh, wenn nach den großen Ferien überhaupt ein paar neue Lehrer an seiner Berufsschule für Druck- und Medientechnik auftauchen.

Internet-Freak Steffen Müller hat einen Traum: dass ein Lehrer vor ihm steht, der "mal was weiß, was ich noch nicht weiß". Aber er ist schon froh, wenn nach den großen Ferien überhaupt ein paar neue Lehrer an seiner Berufsschule für Druck- und Medientechnik auftauchen. 18 werden gebraucht. Müller und seine Mitschüler haben deshalb eine Werbekampagne entwickelt. Die heißt "Schüler suchen Lehrer" und wird demnächst in Zeitschriften und im Internet publik gemacht. Es ist ein letzter Versuch.

Denn der Markt ist leer gefegt. Fertig ausgebildeter Lehrernachwuchs in diesem und fast allen anderen Berufsschulzweigen gilt als Rarität. Beim Gang durch die Klassenräume in dem Wittenauer Oberstufenzentrum stellt Schulleiter Pit Rulff zwei junge Fachlehrer aus München und Neumünster feierlich vor wie die letzten Vertreter einer aussterbenden Art. Die junge Frau aus Neumünster wurde sogar während ihres Erziehungsurlaubs verbeamtet, damit sie bloß nicht auf den Gedanken kommt, Berlin den Rücken zu kehren. Da weiterer ausgebildeter Nachwuchs nicht in Sicht ist, hat Rulff längst umgeschwenkt und seine Suche auf berufliche Quereinsteiger konzentriert.

Dennoch reichen die Bewerber nicht. Der Bedarf resultiert daraus, dass viele Kollegen in Pension gehen und die Schule expandiert. Allein im Bereich Mediengestalter folgen auf vier Absolventenklassen zehn Anfängerklassen. Und die Klassen sind mit 32 Schüler so vollgestopft, dass die Kollegen "über jeden Schüler froh sind, der fehlt".

Der drastische Mangel an Lehrern ist Thema in der gesamten Schule. Eine Übereinkunft im Kollegium stellt sicher, dass jeder Quereinsteiger einen erfahrenen Kollegen an die Seite bekommt, der ihn als eine Art Mentor begleiten soll, damit er nicht den Mut verliert. Immerhin müssen die neuen Kräfte, die aus anderen Berufen oder aus der Arbeitslosigkeit kommen, von heute auf morgen vor einer Klasse stehen, Unterricht vorbereiten, Klausuren konzipieren.

Auch die Schüler sind über die heikle Lage informiert. Lehrerin Margot Schmitt bezog zwei Klassen sogar in die Personalsuche ein, weil sich das bei den angehenden Mediengestaltern gut mit dem Unterricht verknüpfen ließ. Voller Elan haben die Jugendlichen tagelang über Entwürfen für Anzeigen, Logos, Postkarten, T-Shirts und den Internetauftritt gebrütet, bevor die Entscheidung für eines der Motive fiel. "Wir wollen ordentlichen Unterricht haben", begründet die 21jährige Juliana Hesse ihre Bereitschaft, sich derart in das Vorhaben hineinzustürzen. Sie blieb zusammen mit ihren Mitschülern Steffen Müller und Tünya Özdemir bis zur letzten Nachtschicht bei der Stange. Tünya glüht regelrecht vor Begeisterung, wenn sie erzählt, wie sie diese "komplette Kampagne" gestaltet haben, und wie "geil" die Zusammenarbeit mit der Lehrerin war.

Das Glück wäre vollkommen, wenn die Kampagne nun auch noch den erhofften Lehreransturm brächte. Es gibt zwar schon etliche Interessenten, aber längst nicht alle sind geeignet. Zudem rechnet Rulff damit, dass einige wieder abspringen, wenn sie ein paar Wochen hinter sich haben. Das zeigt die Erfahrung, die er mit den ersten "Quereinsteigern" gemacht hat. Mitunter beschleicht den Schulleiter Panik, wenn er daran denkt, dass im September hunderte erwartungsvolle Schüler vor seiner Schule stehen, und nicht genug Lehrer da sind. Da hilft nur noch der Griff zu dem fetten hölzernen Nilpferd, dass auf seinem Konferenztisch steht: breiter Rücken, dickes Fell. Und dann wieder eine Runde Bewerbungsgespräche.

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