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Berlin: Schulbücher: Wer nicht kaufen will, muss zahlen

Tausende Berliner Eltern haben ihre Kinder noch nicht mit Lehrmaterial versorgt. Jetzt drohen die Behörden mit Zwangsgeld bis zu 200 Euro

Die Frist war lang – aber für viele nicht lang genug: Vier Wochen nach Ferienende sind tausende Eltern noch nicht ihrer Pflicht nachgekommen, Schulbücher zu kaufen oder aber ihren Anspruch auf kostenlose Bücher durch Bescheinigungen vom Sozial- oder Wohnungsamt nachzuweisen. Wer sozial bedürftig ist, hätte dies bis Freitag belegen müssen. Allein in Neukölln müssen nun laut Bezirksamt 1000 Familien damit rechnen, Mahnschreiben mit der Androhung von Zwangsgeld zu erhalten.

Wie hoch die Summe sein wird, steht nicht fest. Bisher ist die Rede von etwa 100 bis 200 Euro. Auch Bildungssenator Klaus Böger (SPD) plädiert für die Erhebung solcher Zwangsgelder, um die neue Schulbuchregelung durchzusetzen.

Probleme gibt es nicht nur mit den Bedürftigen, die ihre Bescheinigungen nicht vorlegen. Hinzu kommen jene Eltern, die zwar keine staatlichen Hilfen beziehen, aber „überschuldet sind oder trinken oder sich sowieso nie um die schulischen Belange ihrer Kinder kümmern“, sagt ein Mitarbeiter des Schulamtes Tempelhof-Schöneberg. Er geht davon aus, dass sich „tausende Familien in dieser Grauzone befinden“.

Doch das ist nicht alles. Vielen älteren Schülern sei es peinlich, die soziale Bedürftigkeit zuzugeben, erzählt Frank Braune, Leiter der Thomas-Mann-Hauptschule im Märkischen Viertel. Es sei ja nicht damit getan, im Sekretariat die entsprechende Bescheinigung vorzulegen: Die Schüler müssten sich auch vor den Fachlehrern als sozial schwach „outen“, um ein Buch aus der Schulausleihe zu bekommen. Das sei so unangenehm, dass viele lieber ohne Bücher dastünden.

Die Bezirke gehen mit dieser Situation unterschiedlich um. In Kreuzberg-Friedrichshain etwa heißt es, man könne die Rechtsgrundlage für ein Zwangsgeld „nicht erkennen“. Hier sind rund 7500 Schüler – immerhin jeder Dritte – bedürftig, aber noch längst nicht alle haben das nachgewiesen. In Mitte will man zwar „nicht gleich den Holzhammer herausholen“, hält aber die Erhebung eines Zwangsgeldes für einen gangbaren Weg.

Neuköllns Volksbildungsstadtrat Wolfgang Schimmang (SPD) ist nicht bereit, „Eltern aus der primitivsten Verantwortung zu entlassen“ und will auf jeden Fall Zwangsgelder eintreiben. In seinem Bezirk sind rund 40 Prozent der Schüler sozial bedürftig, und Schimmang weiß von „ganzen Schulklassen, in denen kein Elternteil mehr Arbeit hat“. Dies bedeutet, dass etwa 12000 Neuköllner Kinder eine Bescheinigung vorlegen müssten, um vom Schulbuchkauf befreit zu werden. Mindestens jeder Zehnte werde dem nicht nachkommen, erwartet der Stadtrat aufgrund seiner bisherigen Rückmeldungen aus den Schulen.

Schimmang hält es für falsch, mit diesen Familien Nachsicht zu üben. Er hat es sich von seinem Parteifreund und Bildungssenator Klaus Böger schriftlich geben lassen, dass es für ein Zwangsgeld eine rechtliche Grundlage gibt (Verwaltungsvollstreckungsgesetz Paragraph6). Eine Überraschung gab es unterdessen für die Schulen in Tempelhof-Schöneberg. Sie hatten sich – nach Absprache mit dem Bezirksamt und den Eltern – darauf verständigt, dass die Familien eine Leihgebühr von 20 bis 60 Euro bezahlen, anstatt bis zu 100 Euro für eigene Bücher auszugeben. Zunächst wies die Senatsbildungsverwaltung diesen Weg als rechtswidrig zurück, da eine Leihgebühr eine Art Schulgeld sei. Jetzt wurde diese Auffassung revidiert. Aufgrund der widersprüchlichen Aussagen zu Alternativen wie Leihgebühr oder Förderverein hatten sich mehr als 80 Prozent der Schulen entschlossen, die Bücher direkt von den Eltern anschaffen zu lassen. Dies ergab eine Umfrage der Schulverwaltung. Nur 17 Prozent schalteten Fördervereine ein.

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