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Berlin: Schulden und Sühne

Wie sich der Finanzsenator den Studenten stellte

Am Anfang steht Thilo Sarrazin im Audimax der Humboldt-Universität wie ein Priester vor seiner Gemeinde. Ganz hinten im Mittelgang, vor der Bühne hat sich der Finanzsenator einsam aufgebaut und sieht zu, wie die Studenten durch die Tür drängen. Sie tragen T-Shirts mit der Aufschrift „Du sollst nicht an der Bildung sparen“ und bringen Transparente mit. Sarrazin scheint durch diese Szenerie hindurchzugucken. Vielleicht denkt er an seine Zahlen, um sich zu beruhigen. Denn dass es ein schwieriger Donnerstagabend wird, ist ihm klar. Er hat sich bei den Studenten mit seinen Sparvorschlägen unbeliebt gemacht. Das Versprechen, sich auf einer Podiumsdiskussion zu stellen, hat er im Mai gegeben. Damals besetzten einige Studenten sein Büro.

Die Veranstaltung beginnt mit dem Einzug „toter“ Geisteswissenschaftler, dargestellt von einigen weiß geschminkten und in Bettlaken gehüllten Studenten, die Sarrazin anklagend Plakate entgegenstrecken: „Ich bin irrelevant!“ Der Finanzsenator verzieht keine Miene. Der Moderator vom „Studentischen Aktionskomitee“ will das Wort ergreifen, doch die Mikrofone funktionieren nicht. „Die sind eingespart!“, rufen die Studenten im Saal, „Sarrazin ist schuld!“ Der zwinkert jetzt verschmitzt mit dem rechten Auge. Drei Studenten stellen sich auf und rappen „für die Kunsthochschulen“: „Berlin ist pleite, das Beste wird sein, alle suchen das Weite, aha, ach so!“ Sarrazin lächelt und applaudiert gemeinsam mit den jubelnden Kommilitonen.

Sarrazins erster Kritiker auf dem Podium ist der Student Gunnar Zerowsky, ein rundlicher Typ mit langen blonden Haaren und Bärtchen. Seine Rede über die abgebauten Studienplätze unterbricht er immer wieder mit einem grellen Lachen. Dann darf Sarrazin antworten. Während er über die Haushaltslage spricht, pusten die Studenten Seifenblasen in den Saal, Luftschlangen flattern. „Deine selbstgemachten Statistiken kannste dir in den Arsch stecken!“, schreit jemand. Geldscheine regnen von der Galerie: „Leider nicht echt, sonst würde ich sie für den Haushalt einsammeln“, sagt Sarrazin gelassen. Auf die Wand hinter seinem Rücken projizieren die Studenten ein Dia mit einem Clownsgesicht: „Circus Sarrazin“, steht dabei. Sarrazin sagt, er ist für Studiengebühren. Die Alt-68er Peter Grottian und Klaus-Peter Kisker, beides FU-Professoren, kommen den Studenten zu Hilfe: Sarrazin solle sich doch einmal an die halten, die 5000 Euro verdienen.

„Wo ist denn das ganze Geld geblieben?“, ruft ein älterer Herr dem Finanzsenator zu. „Pschschscht!“, machen die Studenten. Nicht jeder darf dazwischenrufen. Das merkt auch die Sozialhilfeempfängerin Sarah, die Flugblätter für die „menschliche Emanzipation“ verteilt und sich lautstark einmischt. „Hau ab!“, schreien die Studenten. Sie wollen Sarrazin lieber selber daran hindern, Argumente auszutauschen. Der wirkt immer noch ganz ruhig, ein bisschen entrückt auch, als habe er einen Teil von sich selbst zu Hause gelassen.

Dann ist Schluss. Die Sozialhilfeempfängerin Sarah überreicht dem Senator zum Abschied eine Woolworth-Tüte mit Lebensmittel, die für einen Monat reichen müssen. Die Studenten fragen, ob Sarrazin im Herbst einen halben Tag an die Humboldt-Uni kommen will, um die überfüllten Kurse zu sehen. „Durchaus“, sagt er. Vielleicht ergreifen die Studenten ja doch noch ihre Chance, ihn zu überzeugen.

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