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Berlin: Schule erzeugt keine Gewalt, sie dämmt sie ein

Die Brutalität ist nicht Ausdruck einer Bildungskrise, sondern verfehlter Integration Von Klaus Böger

Berlins Schulen liefern derzeit der Nation Schlagworte in einer Debatte dringend notwendiger Selbstklärung. Mit der Deutschpflicht auch auf dem Pausenhof stieß die Hoover-Schule eine deutschlandweite Debatte um das Fordern und Fördern von Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache an. Die zugespitzten Meldungen um die Rütli- Schule heizten die Furcht vor einer außer Rand und Band geratenden Unterschicht aus perspektivlosen Migranten-Jugendlichen an. Schwere Delikte an der Pommernschule oder jüngst, weitaus schlimmer noch, an der Poelchauschule stehen für eine Zunahme von Gewalt, Verachtung und Respektlosigkeit, die Lehrkräfte und Verwaltung seit Jahren registrieren.

Wir reden also viel über Schule, doch wir meinen Integration. Über Jahrzehnte durfte Deutschland kein Einwanderungsland sein. Es wurde dennoch eines, doch ohne dass auf Qualifikation, Bildungs- oder Sprachstand der Neuen geachtet wurde. Ein Fehler, dessen Folgen wir nun ernten. Betrug an einer ganzen Schülergeneration war zudem die Annahme, Multi-Kulti würde die Integration fördern. Viele unserer „Rütli-Kinder“ haben Mühe, ihre Identität zwischen fehlenden Sprachkenntnissen und beruflicher Perspektivlosigkeit zu finden.

Die Wertvorstellungen vieler Elternhäuser und unserer Schule – gedacht als Schule der Gesellschaft – lassen sich nicht vereinen. Schulen müssen gegen intolerante Einstellungen oder völlige Sprachlosigkeit, gegen Frustration und Dauerfernsehen unterrichten und in immer stärkeren Maße Erziehungsdefizite ausgleichen. Deutsch ist dabei der Schlüssel zur Bildung in unserem Schulsystem. Berlin hat früher und stärker als andere Bundesländer auf Sprachtests, Sprachförderkurse, ein Mehr an Deutsch-Unterricht und Nachmittagskurse gesetzt.

Schule erzeugt nicht negative Entwicklungen. Sie dämmt sie – so gut es mit den gegebenen Mitteln geht – ein. Lehrkräfte stehen vor großen und ungewohnten Herausforderungen. Sie brauchen unsere Unterstützung.

Es gibt übrigens etliche Beispiele, bei denen dies unter schwierigsten Bedingungen gelingt, Schlaglichter aus Berlin sind auch die Erika-Mann-Schule oder die Fichtelgebirge-Grundschule, die Paul-Löbe-Schule, die Kurt-Löwenstein-Hauptschule und viele, viele andere. Und es gibt durchaus messbare Erfolge: Vor zwanzig Jahren lag der Anteil von Ausländern ohne jeden Abschluss fast doppelt so hoch wie heute. Doch eben diese inzwischen übrigens oft Eingebürgerten tun sich heute als Eltern so schwer – oder holen sich ihre Ehepartner aus dem Ausland. Dann beginnt fern der Indikatoren von OECD- und Pisa-Studien die Integration in der zweiten oder dritten Generation von vorn.

Ohne Eltern geht es nicht. Über 30 000 Mütter aus Migrantenfamilien haben in den vergangenen fünf Jahren an Mütterkursen teilgenommen und so begonnen Deutsch zu lernen. Zehn Prozent waren ohne jede Schulbildung. Alle wollten ihr Kind in der Schule besser unterstützen können, fast alle wollten arbeiten. Migrantenverbände und Migranteneliten sind Begleiter, die nicht von jedem in der derzeitigen Debatte gehört werden.

Und die Gewalt von Schülern in Berlin? Berliner Schulen melden Gewaltvorfälle nicht nur, sondern reagieren vor Ort in Zusammenarbeit mit der Polizei und Schulpsychologen. „Hinsehen und handeln“ ist ein fester Notfall-Mechanismus, der Taten nicht ungeschehen macht, aber die nächste möglicherweise verhindert. Die Meldepflicht an die Verwaltung und den Senator ist Teil dieses Automatismus. Ich habe Schulen immer ermuntert über Gewalt offen und schonungslos zu reden und nicht zu vertuschen. Um so stärker schmerzen Verkürzungen, mich interessierten erst Fälle wie Mord und Totschlag. Ich kenne die Zustände an Berlins Schulen.

Vermeintliche Bildungswunderländer wie Schweden schließen übrigens Problem-Schulen wegen der Gewalt ihrer Schüler, in Dänemark wird vehement über Ganztagsgrundschulen nachgedacht. Da sind wir in Berlin weiter.

Der Autor ist Senator für Bildung, Jugend und Sport in Berlin.

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