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Die Drei von der Abendschule. Marlon Kittel, Sebastian Sendrowski und Julia Fladung.

© Georg Moritz

Abendschulen in Berlin: Pubertierende nicht zugelassen

Morgens Arbeit, abends Schulbank: Am ältesten Abendgymnasium Deutschlands holen Erwachsene ihr Abitur nach. Berufstätigkeit ist Pflicht. Das ist stressig, aber einen Vorteil gibt es doch.

Ferien? Welche Ferien? Während Berlins Schulkinder noch in den Betten liegen oder an der Ostsee Drachen in den Herbsthimmel steigen lassen, herrscht für Abendschüler Alltag: Sie müssen zwar während der Ferien nicht zum Unterricht erscheinen, gehen aber ihrer normalen Arbeit nach: Ausschlafen – ist nicht. Immerhin haben sie abends frei: Endlich ins Kino! Aber ab Montag ist auch das wieder vorbei. Dann geht es wieder los mit den Doppelschichten.

Eine der traditionsreichsten Abendschulen Berlins liegt in Wilmersdorf: Seit 1927 bereiten sich am Peter-A.-Silbermann-Abendgymnasium, das sich ein Gebäude mit dem Friedrich-Ebert-Gymnasium teilt, Erwachsene nach der Arbeit auf ihr Abitur vor. Die Schule ist das älteste Abendgymnasium Deutschlands. 177 Hörer, wie die Lernenden hier genannt werden, sind zur Zeit angemeldet. Fast 2800 Berliner haben im letzten Jahr an Abendgymnasien und Kollegs für das Abitur gelernt.

Die Tochter hat Abi gemacht. Jetzt will die Mutter auch

Die Hörer des Abendgymnasiums sind meist zwischen 20 und 30 Jahre alt. Viele kommen aus Pflegeberufen, auch Kellner, Gärtner, Taxifahrer und Justizbeamte besuchen die Schule. Je nach letztem Lernstand für ein bis vier Jahre. Viele wollen später studieren und machen deswegen das Abi, so wie der 30-jährige Marlon Kittel. Schon als Teenager hatte er begonnen, als Schauspieler zu arbeiten. Mit 19 Jahren, am Ende der 12. Klasse hatten sich zu viele Fehlzeiten angesammelt, und er wurde von der Schule geschmissen, erzählt er. Damals habe ihn das nicht groß gekümmert. Jetzt mit 30 Jahren macht Kittel sich aber Gedanken über die Zukunft. „Bei Schauspielerei weiß man nie, was kommt“, sagt er. Bei Bedarf möchte er auf eine zweite Ausbildung zurückgreifen können. Es gibt aber auch welche, die rein wegen des Lernens kommen. Eine Hörerin ist Jahrgang 1961, ihre Tochter hat kürzlich Abi gemacht. Jetzt will die Mutter auch.

Wenn der Unterricht um 17.25 Uhr und später in der Qualifikationsphase um 18.30 Uhr beginnt, haben die meisten von ihnen schon sechs, sieben, acht Stunden lang gearbeitet. „Man muss vorher alles genau durchplanen", sagt deshalb der 25-jährige Sebastian Sendrowski. Auch er ist Schauspieler, nebenher jobbt er als Concierge. Um 6 Uhr steht er auf, geht arbeiten und dann direkt zum Unterricht, der bis 21.30 Uhr dauert. Gegen 22.15 Uhr ist er mit den Öffentlichen wieder zurück in seiner Wohnung in Spandau angekommen. Von Montag bis Freitag macht er das so, drei Jahre lang.

Berlinweit zieht nur ein Teil der erwachsenen Schüler den Weg bis zur Prüfung durch. Eine genaue Statistik über die Abbrecher gibt es an der Silbermann-Schule laut Schulleiterin Christiane Grüner nicht. Von denen, die antreten, bestehen aber 98 Prozent. 2014 war der Notendurchschnitt mit 2,3 sogar ein wenig besser als der Berliner Abi-Schnitt von 2,4.

Besser als früher: "Es wird nicht permanent gelabert"

Die Schule kommt den Anforderungen der Berufstätigen weitestmöglich entgegen: Der Lehrstoff wird hauptsächlich in der Unterrichtszeit an der Schule behandelt. „Für zusätzliche Hausarbeiten ist wochentags keine Zeit“, sagt Grüner. Man knüpft an das berufliche Wissen der Hörer an. Etwa einer medizinisch-technischen Angestellten im Fach Biologie. Die Hörer können sich zu Fragen der Vereinbarkeit beraten lassen.

Berufstätigkeit ist bis zum 1. Semester der Qualifikationsphase, also bis zum Beginn der 12. Klasse, Pflicht, dann könnte man sich je nach Alter über Bundesausbildungsförderung Bafög finanzieren. Häufig bleiben die Hörer aber in ihrem Beruf: Sie wollen weiterarbeiten, haben sich an einen gewissen Lebensstandard gewöhnt oder eine Familie zu versorgen.

Sebastian Sendrowski will ab Januar nur noch vier Tage pro Woche arbeiten, damit die Schule nicht zu kurz kommt. Er engagiert sich auch als Klassensprecher wie früher und ist in zwei Gremien der Schule. Dass er nach der 11. Klasse mit Realschulabschluss von der Schule gegangen ist, hat er im Nachhinein bereut.

Auf eines aus den alten Schultagen können die Hörer der Silbermann-Schule übrigens mit Freude verzichten. „Dass nicht permanent gelabert wird und man sich konzentrieren kann“, schätzt Julia Fladung an den Mitlernenden. An ihrer früheren Schule in Gelnhausen wurde die 25-Jährige täglich gemobbt. „Bis zur 10. Klasse durchgequält“, habe sie sich. An einer Schauspielschule hat sie zum ersten Mal ein positives Lernumfeld kennengelernt und wieder an Selbstbewusstsein gewonnen, so dass sie es mit einem Abendgymnasium probieren wollte. Derzeit arbeitet sie als Pflegehelferin in einem Altenheim. Nach dem Abi will sie Medizin oder Lehramt studieren. Sie hat festgestellt, dass sie Mathe doch versteht, was ihr früher unmöglich schien.

Nochmal zur Schule - so geht es

Wer berufstätig ist, kann sich an den öffentlichen Abendgymnasien in Wilmersdorf und Prenzlauer Berg kostenlos auf das Abitur vorbereiten. Die Fächer: Deutsch, Mathematik, Fremdsprachen, Geografie und Biologie. In fünf Kollegs lernt man von 8.30 bis 13.45 Uhr. Eine berufliche Tätigkeit ist bei Kollegs nicht gestattet. Für beide Schulformen müssen Interessierte mindestens 19 Jahre alt sein und die 9. Klasse oder eine Berufsausbildung abgeschlossen haben. Alternativ kann man drei Jahre Erwerbstätigkeit oder Familienbetreuung nachweisen. Auch in privaten Kursen kann man sich auf das Abi vorbereiten. Auch ein Prüfungsantritt als Autodidakt ist möglich. Die Prüfung legt man in beiden Fällen im Rahmen der „Nichtschülerprüfung“ ab.

Für den Mittleren Schulabschluss (MSA) und die Berufsbildungsreife können Erwachsene an elf Standorten in Berlin lernen. Volkshochschulen und Integrierte Sekundarschulen bieten Tages- und Abendkurse an. Mehr Infos unter www.berlin.de/sen/bildung/schulabschluesse/nachholung.

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