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Yigit Muk ist der beste Schüler seines Jahrgangs.

© Doris Spiekermann-Klaas

Abitur mit 1+: Vom Außenseiter zum Spitzenreiter

Nach Empfehlung seiner Lehrer hätte Yigit Muk die Hauptschule besuchen sollen. Jetzt hat er das beste Abi seit Gründung der Kant-Oberschule absolviert und will Wirtschaft studieren.

Am Ende des Tages hatte Yigit Muk Schmerzen in den Wangenknochen. Mit drei glatten Einsen und zwei Mal Eins-Plus ist er der beste Abiturient der Privaten Kant-Oberschule in Steglitz seit ihrer Gründung vor über 50 Jahren. Eigentlich wäre es ein Durchschnitt von 0,9, meint er, aber den gibt es ja nicht. Das Engagement habe sich gelohnt, hätten seine Lehrer bei der Abschlussfeier gesagt. Seines und ihres. „Ich konnte die ganze Zeit nur grinsen“, erzählt der 24-Jährige. Dass Muk überhaupt Abitur macht, war nicht immer so klar.

Seine Schulzeit war geprägt von Auf und Ab: Den ersten Tag an einer Grundschule in Neukölln hat er als spielerisch in positiver Erinnerung. Später war Schule oft langweilig, die Leistungen nicht so gut. Die 3. Klasse soll er wiederholen. Auf dem Zettel zur Schulempfehlung ist „Hauptschule/Gesamtschule“ angekreuzt. Die Mutter setzt sich dafür ein, dass Muk auf eine bessere Realschule im Bezirk kommt. In der 9. Klasse merkt er, dass er sich anstrengen muss und wird prompt Klassenbester. Doch auf die guten Ergebnisse folgt eine schwere Krankheit. Lange Fehlzeiten führen zu Lücken, dazu kommen Konflikte mit einem Lehrer. Mit 18 Jahren macht er den Hauptschulabschluss – mit einem Schnitt von 4,9.

„Manchmal lernen Kinder in bestimmten Phasen schlecht", meint Özcan Mutlu, Diplomingenieur und seit 1999 bildungspolitischer Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Er setzt auf Beispiele wie das von Yigit Muk, damit auch andere Schüler mit ähnlicher Vorgeschichte Mut schöpfen, um noch einmal durchzustarten. Wenn die Schule oder die Lehrer in schwierigen Situationen nicht im Verständnis reagieren, sondern die Kinder abstempeln, dann kann es passieren, sagt Mutlu, dass auch ein sehr talentiertes Kind keine Lust mehr auf Schule hat. Ein ganzes Leben lang. Mutlu, geboren 1968, hatte auch nur eine Hauptschulempfehlung bekommen, besuchte eine Kreuzberger Hauptschule, traf dort auf engagierte Lehrer, die mit ihm am privaten Computer in der Schule programmierten, mit ihm über das Sonnensystem diskutierten und neue Perspektiven aufzeigten.

Nicht jeder habe aber das Glück, den richtigen Lehrer zur richtigen Zeit zu treffen und wieder den Kick zu bekommen, sich zu sagen „Jetzt packe ich das an.“' Dazu bedürfe es einer Reform der Lehrerausbildung, so Mutlu, damit zukünftige Pädagogen Schüler individueller fördern können, interkulturelle Kompetenzen besitzen und im Umgang mit neuen Medien und neuen Lernmethoden fit sind“.

Jugendliche mit Migrationshintergrund sind in Abitursjahrgängen unterrepräsentiert.

Yigit Muk ist der beste Schüler seines Jahrgangs.
Yigit Muk ist der beste Schüler seines Jahrgangs.

© Doris Spiekermann-Klaas

Wie wichtig gerade die interkulturellen Kompetenzen sind, zeigt ein Blick in die Statistik. Obwohl rund ein Drittel aller Berliner Schüler einen Migrationshintergrund haben, liegt ihr Anteil an den Abiturienten bei nur 14,1 Prozent und ist damit gegenüber dem Vorjahr sogar noch gesunken.

Yigit Muk erinnert sich an eine andere Zahl. Zwei Hände gingen in die Höhe, als einmal in der 10. Klasse an der Neuköllner Schule zwei junge Frauen kamen, um die Schüler für eine Studie zu fragen, wer denn Abitur machen will. Muk hat sich gemeldet und noch ein Mitschüler, die anderen hätten verwundert geguckt. Rückblickend kritisiert Muk nicht die Hauptschulempfehlung. Er sei zu der Zeit nicht so leistungsstark gewesen, das wäre gegenüber den Lehrern nicht fair. Davor hätte es aber an Ansporn gefehlt. Lehrer sollten ihre Schüler auf die Zielgerade rücken und klarmachen, was sich mit der Schule entscheidet, fordert Muk. Ihn habe niemand gefragt, was er später mal werden möchte. Als seine Mutter von „Arzt“ sprach, habe er nur gelacht. Das war für ihn eine ganz andere Welt.

Für einen Vortrag ist der erfolgreiche Schüler an seine alte Schule zurückgekehrt. Rund 90 Prozent der Kinder haben dort einen Migrationshintergrund. Die Schüler sollten Gas geben, habe er gesagt, und die Lehrer sollten mehr motivieren. Die landen alle in der Gosse, meinte sein alter Mathematik-Lehrer über die neuen Schüler ihm gegenüber. „Das sagt ein Lehrer“, ärgert sich Muk, der kein Verständnis für diese Haltung hat.

Manchmal seien die Botschaften nur unterschwellig, aber setzen sich in einem fest. Muk erinnert sich an einen Mitschüler. In der 1. Klasse, als die anderen noch Zauberkunststücke vorgeführt hätten, habe er bewiesen, dass Luft etwas wiegt. Beendet habe er die Schule mit einem schlechten Realschulabschluss. Heute sitze er zu Hause mit Hartz IV.

"Es war nur so eine Seifenblase"

Yigit Muk ist der beste Schüler seines Jahrgangs.
Yigit Muk ist der beste Schüler seines Jahrgangs.

© Doris Spiekermann-Klaas

„Es war nur so eine Seifenblase, aber ich habe sie in Angriff genommen“, beschreibt Muk seinen Weg zum Abitur. Angetrieben habe ihn der Wunsch der Mutter, dass eines ihrer drei Kinder Abitur machen sollte. Immer wieder habe sie ihn mit Geduld bei einer Tasse Kaffee gefragt, wie die Schule war, wie er vorankomme.

„Zuerst war es ihr Wunsch“, sagt Muk, „dann habe ich aber auch für mich immer mehr meine Fähigkeiten entdeckt und meine Ziele höher gesteckt.“ Erweiterter Hauptschulabschluss, dann Mittlerer Schulabschluss, dann Abitur, dann studieren. Während Muk für einen Sicherheitsdienst arbeitete und modelte, um seine Familie zu unterstützen, entdeckt er an der Privaten Kant-Oberschule, dass man ein Leben lang Spaß am Lernen haben kann. In Deutsch inszenieren sie „Emilia Galotti“ als Gerichtsverhandlung, der Wirtschaftslehrer weckt Interesse für Ökonomie. In den Zeitungen, die er früher nicht verstanden hat, entdeckt er mittlerweile die Fehler.

In Neukölln engagiert sich Muk in einem Verein für mobile Jugendarbeit. Er selbst bekommt neben Familie und Lehrern auch von den neuen Schulkollegen Unterstützung – und auch von alten. Seine beiden besten Freunde kennt Muk noch aus der Grundschulzeit. Beide haben kürzlich ihren erweiterten Hauptschulabschluss nachgeholt. Der eine will Psychologe werden, der andere in die Wirtschaft. Andere machen den Taxi-Schein oder beginnen eine Lehre, aber alle seien sie an dem Punkt, etwas ändern zu wollen. „Das ist auch ein großer Antrieb“, sagt Muk, „zu merken, dass man andere mitzieht und man sich unterstützt. Reziprok.“

Für ihn selbst geht es jetzt erst mal an die Wirtschaftsuniversität einer anderen deutschen Stadt oder vielleicht in der Türkei. Nicht in Berlin zu studieren, war eine schwierige Entscheidung, aber die Qualität der anderen Universitäten sei besser. Eine Zusage hat er schon. Aus dem Rucksack holt der Spitzenschüler stolz die Empfehlung, die ihm sein Wirtschaftslehrer geschrieben hat. Für ihn ist es die erste, die er je bekommen hat.

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