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Ein kuscheliger Schulleiter - Tilo Rosenkranz leitete 25 Jahren lang die Bouché-Grundschule in Treptow.

© DAVIDS/Sven Darmer

Alternatives Lehrkonzept in Treptow: Der Rektor mit dem Teddybär

An der Bouché-Grundschule in Treptow hilft Tilo Rosenkranz seinen Schülern auf wohl einzigartige Weise. Mit plüschigen Gefährten will er Kindern und Eltern das Vertrauen in das Schulsystem zurückgeben.

Die Haare gehen ins Rötliche, aber sie haben viel an Farbe verloren, Peter ist halt doch nicht mehr der Jüngste. Aber man muss ihm bloß über den Bauch fahren und an einer bestimmten Stelle drücken, dann brummt und schnurrt er so behaglich wie schon vor Jahrzehnten, dann merkt man nichts von seinen 50 Jahren.

Ansonsten ist Peter bemerkenswert still, er sitzt bloß in der Ecke des Büros, umgeben von einem Krokodil mit Welpenblick, einem Bären, dessen Zunge unter den Nasenlöchern klebt, und 100 anderen Tieren.

Einmal im Jahr aber hat Peter einen offiziellen Auftritt. Er hängt dann im Arm von Tilo Rosenkranz, wird angestarrt von Erwachsenen und Kindern und starrt zurück. „Das“, verkündet dann Rosenkranz, Schulleiter der Bouché-Grundschule in Treptow, „ist mein Freund und Berater.“ Peter, der Teddybär. Die Kinder sind begeistert, die Eltern beeindruckt. So eine Einschulungsfeier haben sie noch nie erlebt. „Vermutlich“, sagt Rosenkranz, „gibt es in Deutschland keinen zweiten Schulleiter, der in seinem Büro über 100 Plüschtiere hat.“

Kuscheln als Seelsorge

Die Tiere sind ein Grund für jene Passage im Bericht der Schulinspektion: „Der Schulleiter (...) führt mit intensiver Zuwendung gegenüber allen am Schulleben Beteiligten. Die Eltern schätzen an ihm, dass er sich ihrer Sorgen mit Empathie und Verbindlichkeit annimmt. Die Schülerinnen und Schüler heben besonders hervor, dass er immer erreichbar ist.“ Nicht mehr lange, am 8. Juli geht er in Rente, nach 25 Jahren Schulleitung.

Die Kuschelecke mit den Tieren hat Rosenkranz vor 23 Jahren eingerichtet, anfangs nur mit ein paar Exemplaren. Jedes Kind, das Sorgen hat, darf sich an die Tiere schmiegen. „Die Freude der Tiere geht auf euer Herz über“, sagt Rosenkranz dann. Mindestens einmal pro Woche kommt ein Kind zu ihm, manchmal auch fünf, immer einzeln. Die Besucher kommen vor und nach der Pause, immer Schüler der ersten bis dritten Klasse.

Zwei Drittel der Tiere sind Spenden von Eltern, der Rest kommt von ihm. Sie sind Teil jener Philosophie, mit der er die Schule leitet: „Kinder sollen nicht vor Ehrfurcht erstarren, wenn sie in die Schule kommen.“ Seinen Lehrern predigt er: „Wir müssen den Schülern Vertrauen schenken.“ Er ecke öfter an mit dem Satz, sagt er. Es gebe Lehrer, die sagten: „Die Schüler müssen unser Vertrauen verdienen.“ Blödsinn, findet ihr Vorgesetzter.

Schule - Zwischen Spaß und Anstrengung

An seiner Grundschule sind 580 Kinder, viele davon kommen aus schwierigen familiären Verhältnissen. „Die haben zu Hause schon zu wenig Zuwendung. Sollen wir denen in der Schule auch noch einen Tritt geben?“, fragt er dann seine Kollegen. Er hat ihnen auch bedeutet, dass sie Kinder nicht zum Direktor schicken sollen, wenn etwas schiefgelaufen ist. Das erzeugt Widerstand, „Lehrer sind auch nur Menschen“, sagt Rosenkranz.

Eine Gratwanderung, einerseits Verständnis für Kinder, andererseits Unterstützung der Kollegen. „Schule“, sagt der 64-Jährige, „soll Spaß machen und anstrengend sein.“ Ein Standardspruch. Aber er lebt diesen Spruch auf seine Weise aus, mit viel Verständnis für Kinder. Er hat 280 Schüler aus 19 Nationen, also predigt er seinen Kollegen: Kümmert euch um die Kultur dieser Länder.

Lehrer aus Wut, Lehrer aus Leidenschaft

Rosenkranz’ Philosophie ist geprägt von bitteren Erfahrungen. „Ich bin aus Wut Lehrer geworden.“ In seiner Schulzeit, zu DDR-Zeiten, habe sich lediglich ein Lehrer um seine Probleme gekümmert. Autoritäre Pädagogen prallten auf einen schwierigen Schüler, so war das. Er provozierte, fühlte sich aber zugleich oft ungerecht behandelt, „Bis zur 12. Klasse habe ich alle Strafen abbekommen, die es gab.“ Bei der Abiturfeier, sagt Rosenkranz, habe ihm ein Lehrer mitgeteilt: „Du landest mal im Gefängnis.“ Der gleiche Lehrer habe ihm allerdings später auch eine Beurteilung für die Uni Rostock geschrieben, als er Pädagogik studieren wollte. Die Beurteilung sei fair ausgefallen, der Lehrer habe den Satz bereut.

Es ist nicht ganz einfach, ein stimmiges Bild zusammenzubekommen. Einerseits war Rosenkranz, seiner Erzählung nach, auch an der Uni kritisch und fast aufsässig, andererseits konnte er zu DDR-Zeiten an der Humboldt-Uni promovieren und in Höhenschönhausen an einem Institut Lehrer ausbilden. Volksbildungsministerin Margot Honecker achtete eigentlich streng darauf, dass linientreues Personal als Pädagogen an die Schulen kam. 1976, sagt Rosenkranz, habe er die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann öffentlich kritisch kommentiert, aber 1978 trat er in die SED ein. 1990 gehörte er zum Institut in Hohenschönhausen.

Klare Regeln für Schülern und Eltern

In den Turbulenzen der Nachwendezeit bewarb er sich auf die Leiterstelle der Bouché-Schule. Seine Vergangenheit wurde geprüft, ohne Beanstandungen, er wurde genommen und hat die Schule entwickelt. Den Schulsenat nervte er mit der Forderung nach mehr Lehrern, intern bemühte er sich um gutes Klima. Deshalb sagt er auch in seiner Bilanz: „Besonders stolz bin ich auf eine Schülerschaft, die sich trotz aller Veränderungen toll entwickelt hat. Auch die Eltern sind sehr engagiert.“ Das dokumentiert auch der Inspektionsbericht.

Allerdings legt Rosenkranz erwartungsgemäß klare Regeln fest. Zwei türkischen Vätern, die eine Lehrerin verbal aggressiv bedrängt hatten, drohte er im Wiederholungsfall mit Hausverbot.

Mit Schultier auf Reisen um die Welt

Er scheute sich auch nicht, 1999 öffentlich zu präsentieren, was er und seine Kollegen in vier Jahren in Schulranzen entdeckt hatten: etwa 30 Schreckschusspistolen, Wurfsterne, Messer, ein Schlagstock. Ein erschreckendes Ergebnis, er wollte damit vor allem die Eltern sensibilisieren. Inzwischen hat sich alles sehr normalisiert, sagt Rosenkranz. Die neueste öffentliche Mitteilung der Schule klingt so: „Louiz von der 6 b wurde Berliner Meister im Vorlesewettbewerb.“

Vielleicht hatte sich Louiz ja auch mal an die Tiere gekuschelt. Rosenkranz verleiht sogar ein paar von ihnen. Schüler, deren Eltern aus beruflichen Gründen längere Zeit ins Ausland gehen und die später in die Bouché-Schule zurückkehren, dürfen sich ein Tier auf die Reise mitnehmen. „Es soll dich an die Schule erinnern“, sagt Rosenkranz dann. Das Krokodil mit dem Welpenblick war mal zwei Jahre in den USA.

Nur Peter bleibt in der Ecke, den gibt Rosenkranz nicht raus. Peter ist sein eigener Teddy, den hat er schon zu Schulzeiten im Arm gehalten.

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