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Arbeitszeitkonten für Lehrer: Versprechen, die nichts gelten

Warum die geplante Abschaffung der Arbeitszeitkonten Proteste auslöst. Zwei Lehrer berichten aus ihrem Schulalltag.

Bettina Liedtke unterrichtet seit 37 Jahren Grundschüler, und ihr Job macht ihr immer noch Spaß. Eigentlich, sagt die 61-Jährige. Bis 65 will sie ihn trotzdem nicht mehr machen. Mit 63 sei Schluss, dafür nehme sie auch Pensionsabzüge in Kauf. „Ich merke, dass meine Kräfte nachlassen.“ Geräuschempfindlicher sei sie geworden, die Unruhe im Klassenzimmer mache ihr mehr aus und sie brauche länger, um sich zu erholen. Sie wolle vermeiden, was sie in den letzten Jahren oft bei ihren Kolleginnen gesehen habe, sagt Liedtke. Zuversichtlich und gesund seien die in ihre letzten Arbeitsjahre gegangen, doch dann wurden sie von Krankheiten matt gesetzt.

Liedtke unterrichtet 27 Stunden in der Woche in einer Grundschule in Lichterfelde. 22 davon in einer JüL-Gruppe als Klassenlehrerin. Nach einer Schätzung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) entspricht die Stundenzahl für eine Lehrervollzeitstelle mit Vor- und Nachbereitung 43 bis 46 Wochenstunden tatsächlicher Arbeitszeit. Eigentlich hatte Liedtke einmal geplant, in ihrem Alter eine Stunde weniger zu arbeiten. Ich hatte mich auf die Runzelstunde gefreut“, erzählt Liedtke und schmunzelt. Damit meint sie die Altersermäßigung, die es bis zum Jahr 2003 für Lehrer ab 55 gab. Wer mindestens zwei Jahre mit vollem Deputat unterrichtet hatte, konnte mit 55 eine Stunde weniger arbeiten – ohne Abzüge. Liedtke erhöhte deshalb ihre Stunden, doch als sie 55 war, wurde die Altersermäßigung gerade gestrichen.

Jetzt ist sie wieder im Gespräch. Eine Stunde Altersermäßigung ab 60, das bietet die Bildungsverwaltung als Ausgleich für die Abschaffung der Arbeitszeitkonten (wir berichteten). Der GEW reicht das nicht. Sie fordert eine Stundenreduzierung für alle oder eine Fortführung der Konten für die Jüngeren und eine Altersermäßigung ab 55. Eine Petition mit dem Titel "Wir lassen uns nicht veräppeln" hat schon mehr als 1700 Unterzeichner.

Die Arbeitszeitkonten waren 2003 unter Rot-Rot vom damaligen Bildungssenator Klaus Böger (SPD) eingeführt worden. Zuvor war die Arbeitszeit von Beamten erst von 40 auf 42 Stunden erhöht worden, ein paar Monate später wurde die Erhöhung aber wieder zurück genommen. Nur nicht bei den Lehrern. Die behielten ihre erhöhte Pflichtstundenzahl, bekamen als Ausgleich ein paar frei Tage und die Möglichkeit, sich pro Schuljahr fünf Tage auf ein Arbeitszeitkonto gutschreiben zulassen. Im Vergleich zu den anderen Beamten fühlten sich viele Lehrer über den Tisch gezogen.

Und jetzt sollen die Konten also abgeschafft werden, hat der rot-schwarze Senat beschlossen. Angesparte Stunden sollen zwar ausbezahlt oder abgefeiert werden. Neue soll es aber nicht mehr geben. Das empört die GEW, denn so werde die Kompensation für die Arbeitszeiterhöhung, die schon 2003 zu gering gewesen sei, nachträglich abgeschafft.

„Es ist der Mangel an Respekt, der zusätzlich zu schaffen macht“, sagt Lehrerin Liedtke dazu. Es klingt nach enttäuschtem Vertrauen. Als sie angefangen habe, hätten Frauen mit 60 in den Ruhestand gehen können. Versprechen in die Zukunft seien das gewesen, genauso wie die „Runzelstunde“. Doch plötzlich gelten diese Versprechen nicht mehr.

Die vielen Reformen der letzten Jahre hätten den Lehrern Mehrarbeit beschert und seien oft durchgesetzt worden, ohne die Beteiligten davon zu überzeugen. Auch die Lehrer an Liedtkes Schule waren dem Jahrgangsübergreifenden Lernen gegenüber zunächst skeptisch. Doch irgendwann habe es mehr Kraft gekostet, sich dagegen zu wehren, als sich der Einführung zu beugen. Viel Zeit und Energie gehe zudem in Bürokratie. Noch eine Konferenz, noch ein Konzept für das Schulprogramm oder eine Zielvereinbarung für die Schulinspektion schreiben. Fertig sei man nie, oft gehe es am Abend und am Wochenende weiter. „Die Vermischung von Privatleben und Arbeitsleben zehrt“, sagt Liedtke.

Ähnliches berichtet auch Stephan Berger. Der 47-Jährige unterrichtet seit zwei Jahren an einer Sekundarschule in Spandau. Er ist eigentlich Berufsschullehrer und war zuvor an einem Oberstufenzentrum in Kreuzberg. Als dort die Schülerzahlen sanken, wurden Lehrer versetzt. Einige an Sekundarschulen, einige auch an Grundschulen. „Das sind ganz andere Anforderungen, darauf waren die Kollegen nicht vorbereitet und sie sind auch nicht dafür ausgebildet“, sagt Berger. Früher habe er es mit jungen Erwachsenen zu tun gehabt. Jetzt sei seine Aufgabe eigentlich oft mehr Sozialarbeit als Wissensvermittlung. Ein Vater, ein ehemaliger Bundeswehroffizier, der ehrenamtlich beim Sportunterricht helfe, habe die Arbeit mit den Schülern einmal so beschrieben: „Das ist, als wollte man 17 Korken mit nur zehn Fingern gleichzeitig unter Wasser drücken.“ Und dass er es verstehen würde, wenn sich Lehrer schon mit 35 pensionieren ließen.

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