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Atteste: Kranke Kandidaten

Die Humboldt-Universität streitet über Atteste von Prüflingen. Was darf ein Attest preisgeben?

Was darf eine Fakultät über die Krankheiten ihrer Studierenden wissen? Darüber gibt es Streit an der Humboldt-Universität. Mehreren Instituten reicht es nicht, wenn Studierende, die sich zur Prüfung krank melden, ein ärztliches Attest einreichen. Sie verlangen stattdessen eine Bescheinigung, in die der Arzt die Symptome der Krankheit einträgt. Diese Bescheinigung muss der Kandidat dann dem Prüfungsausschuss vorlegen, der bewertet, ob die Symptome tatsächlich schwer genug sind, um den Rücktritt von der Prüfung zu ermöglichen.

HU-Studierende kritisieren, die Regelung zwinge kranke Kommilitonen, sensible Daten über sich preiszugeben. Auch seien die medizinischen Laien im Prüfungsausschuss – Wissenschaftler und jeweils ein Studierender – wohl kaum in der Lage, besser als ein Arzt zu beurteilen, ob ein Kandidat prüfungstauglich sei oder nicht. Nur auf manchen Formularen – etwa bei den Juristen – kann der Arzt ankreuzen, ob die „Beeinträchtigung des Leistungsvermögens“ „erheblich“ ist. Kreuzt der Arzt – vielleicht aus Unwissenheit – an, Prüfungsangst sei „ursächlich für die Krankheitssymptome“, gilt die Prüfung als nicht bestanden, sagt Tobias Roßmann, Mitglied im ReferentInnenrat (Refrat), der HU-Studierendenvertretung.

Die Charité und die HU-Juristen verlangten schon länger eine Auflistung von Krankheitssymptomen zur „Feststellung der Prüfungsunfähigkeit“, seit einem Jahr auch die Sozialwissenschaftler und die Geografen. Aus anderen Berliner Unis ist diese Praxis den HU-Studierendenvertretern nicht bekannt. Sollte die HU das Verfahren nicht wieder abschaffen, will der Refrat drei Musterklagen einreichen. In einem Fall habe ein Arzt sich geweigert, einer Studentin die Bescheinigung über die Symptome auszustellen – diese gingen die Uni nichts an. Die Studentin habe sich dadurch ermutigt gefühlt, den Rechtsweg einzuschlagen. Ein Student sei erst nach der Prüfung davon informiert worden, dass seine Symptome dem Prüfungsausschuss nicht genügt hätten, die Prüfung als nicht bestanden gewertet wurde.

Die HU-Verantwortlichen argumentieren hingegen mit der Chancengleichheit. Simulanten dürften sich keine Vorteile verschaffen, indem sie die Prüfung schwänzen, um mehr Zeit zum Lernen zu haben. „Es soll vermieden werden, dass einer wegen eines Schnupfens nicht antritt“, sagt Thomas Eschke, Leiter der Rechtsstelle der HU. „Mit Attesten können die Unis dabei nichts anfangen, weil nichts drinsteht.“ Eschke beruft sich auch auf Gerichtsurteile. Selbst wenn dabei Staatsexamensstudiengänge im Vordergrund gestanden hätten, seien diese übertragbar. Die vielen studienbegleitenden Prüfungen im Bachelor flössen in die Endnote ein, hätten also ebenfalls eine hohe Wertigkeit.

Zu einem Kompromiss, den der Datenschutzbeauftragte André Kuhring der HU auf Anfrage des Studierendenvertreters Michael Lippa vorgeschlagen hatte, konnte sich die Uni bisher nicht durchringen. Danach würde eine Bescheinigung über die Symptome erst verlangt, wenn ein Student sich zum dritten Mal zur gleichen Prüfung krankmeldet. Nach Informationen Lippas muss der inzwischen von der Uni-Leitung im Streit beurlaubte Kuhring eine Dienstaufsichtsbeschwerde wegen seines Vorschlags befürchten. Auch der Vorwurf der illegalen Rechtsberatung stehe im Raum, weil Kuhring seine Kompetenzen überschritten habe. Lippa trat deshalb am Montag von seinem Amt als stellvertretender Vorsitzender der Kommission für Lehre und Studium zurück. Hingegen teilte ein Sprecher der HU mit, Lippas Wahrnehmung bezüglich der Vorgänge um Kuhring beruhten auf einem Missverständnis, man werde sich bemühen, Lippa wieder in sein Amt zurückzuholen.

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