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Auslandsjahr: Unterricht auf der Sonnenseite

Tim Vormbäumen verbringt ein Highschool-Jahr in Australien. Der Unterricht und die Schwerpunkte sind erfrischend anders dort.

In den Sommermonaten berichtete ein Redakteur des Tagesspiegel in loser Folge auf der Schulseite, wie es sich als Vater anfühlt, wenn der Sohn an einem Schüleraustausch in Australien teilnimmt. Zum Abschluss unserer Serie erzählt nun der Sohn, Tim Vormbäumen, 16, wie es ihm bisher in Melbourne ergangen ist. Tim geht in Berlin auf das Georg-Herwegh-Gymnasium.

Nun bin ich schon seit gut drei Monaten in Melbourne. Ich wohne in dem Außenbezirk Beaumaris, praktisch direkt am Strand. Man braucht eine halbe Stunde, um in die Innenstadt zu gelangen. Melbourne ist eine lebendige und immer aktive Stadt.

Ich gehe auf das Sandringham College, eine staatliche Schule. Das heißt jedoch nicht, dass die Schüler aus armen Familien kommen. Im Gegenteil: Sandringham ist ein „besseres“ Viertel, direkt am Meer gelegen. Die Menschen, die hier wohnen, haben mindestens einen Pool oder eine Garage oder zumindest einen großen Kühlschrank und einen Plasmafernseher. Wie in den USA muss auch in Australien alles groß dimensioniert sein, das beginnt mit dem Kühlschrank und den zwei Liter fassenden Coca-Cola-Flaschen und endet beim Haus und dem Auto, das in der Garage steht.

Was mir aufgefallen ist: Die Menschen sind recht kritisch gegenüber ihrer Regierung. Das merkt man auch an den Schülern im Englischunterricht. Wir lesen gerade Shakespeares „Macbeth“, nehmen aber parallel dazu Zeitungsartikel über Australiens Premier John Howard durch. Es geht insbesondere um seine Vorschläge, den Missbrauch von Kindern und den Alkoholkonsum unter den Aborigines zu stoppen. Viele Schüler nutzen die Gelegenheit, sich über John Howard zu beschweren und sich lustig zu machen.

Die Artikel waren für mich am Anfang übrigens gar nicht so leicht zu verstehen. Aber was das Lernen der Sprache angeht, macht man hier „down under“ schon sehr schnell Fortschritte. Aber das gilt noch nicht für Shakespeare. „Macbeth“ ist ein mittelalterliches Stück über Macbeth, der den König umbringt, selbst König wird und sich dann zum Tyrannen entwickelt. Wir lesen das Skript in altem Englisch und ich gebe zu, das ist im Wesentlichen schon das, was ich davon verstanden habe. Ich habe mich gemeldet, um vorzulesen, doch während ich las, konnte ich es zwar gut aussprechen, habe aber den Hauptinhalt nicht mitgekriegt.

Andere Fächer machen mir noch mehr Spaß als Englisch – zum Beispiel Drama. Die Schule ist perfekt für Fächer wie Drama, Kunst oder Musik, der Unterricht ist hier ganz anders als in Deutschland. Dagegen sind die Anforderungen in Fächern wie Mathe oder Bio viel niedriger.

Freunde von mir gehen auf die Mentone Grammar School. Das ist eine private Schule, die Eltern, die ihre Kinder dorthin schicken, zahlen 10 000 australische Dollar im Jahr. Allerdings hat die Schule auch eine eigene Schuluniform, ein eigenes Hallen- und Außenschwimmbad, eine riesige Turnhalle und einen riesigen Campus.

Das Sandringham College, zu dem ich jeden Morgen um 8.30 Uhr den Bus nehme, besteht aus drei Schulen: der Primary School, der Secondary School und dem Sandringham College. Insgesamt ist es ein riesiges College. Die Kinder, die auf die Primary School gehen, von Klasse 1 bis 6, müssen Schuluniform tragen. Das gilt auch für die Kinder, die auf die Secondary School gehen, von Klasse 7 bis 10. Auf dem Sandringham College Campus ist es anders. Die Elft- und Zwölftklässler müssen keine Uniform tragen. Aber der Uniformzwang wurde erst vor kurzem abgeschafft. Die Schüler genießen die letzten zwei Jahre ohne Uniform, viele kommen mit Jogginghosen oder Leggings und Flip-Flops zur Schule.

Was mich tatsächlich beeindruckt hat: Wie freundlich der Tag in Melbourne schon im Bus anfängt. Der Busfahrer wird mit einem „Hallo, wie geht’s“ begrüßt, und wenn man an der Schule abgesetzt wird, sagt man: „Thanks man!“, „Cheers buddy“’. „See you later“, „Take it easy!“ „Catch yah“.

Auf dem Sandringham College werden viele Fächer angeboten, die einem deutschen Gymnasiasten skurril vorkommen: „Textiles“, „Ceramics“, „Business Management“, „Mechanics“, „Woodworks“ oder „Photography“. Das Einzige, was es nicht gibt, ist das Fach Sport. Sport wird durch „Outdoor Education“ abgedeckt. Ich wollte gerne Sport belegen, als ich hierherkam und dachte, „Physical Education“ sei das richtige Fach dafür. Aber in „Physical Education“ lernt man, wie sich die Muskeln bilden und vieles andere über seinen Körper, Sport macht man in diesem Fach nicht, höchstens geistig. „Drama“ ist dagegen genau das richtige für mich. Man übt entweder alleine oder mit Gruppen Stücke ein, die man zuvor selber schreibt, was unheimlich Spaß machen kann. Da ich Drama als Fach genommen habe, wirke ich auch bei der zentralen Theateraufführung der Schule mit. Dieses Jahr bringen wir „Grease“ auf die Bühne. Der Aufwand dafür ist enorm – auch das ist wieder ganz anders als in Deutschland.

Wir proben mindestens dreimal in der Woche, sogar am Wochenende. In der letzten Woche vor der Aufführung hat man keine Schule und dann noch einmal sechs Aufführungen hintereinander. Es ist ein richtiges Theaterleben! Das finde ich total schön. Doch das beste Gefühl ist wohl der Applaus am Schluss, das Verkleiden und das Schauspielern generell. Am letzten Aufführungstag gibt es eine Aftershowparty, auf der man die ganze Nacht wach bleibt und feiert und am nächsten Morgen ohne Schlaf in die Schule geht.

Die Jugendlichen sind hier generell sehr nett. Man findet ziemlich schnell Freunde. In der Freizeit geht man ins Kino oder ans Meer, hier fängt jetzt der Sommer an. Viele Freunde und Mitschüler arbeiten in Lokalen oder Fast-Food-Restaurants, manche nehmen allerdings auch den „easy way“ und klauen anstatt zu arbeiten. Meistens lassen sie Süßigkeiten im Supermarkt mitgehen oder DVDs im Videoverleihgeschaft. Genügt ihnen das nicht, dann stehlen sie größere Sachen wie Schuhe und Kleidung. Das Geschäft ist einfach: Man klaut teure Schuhe und verkauft sie dann billiger. So verdienen sie ihr Geld. Dieser Weg endet oft im Gefängnis, genauso wie das Konsumieren von Drogen. Das Verbot von Drogen wird hier in Australien ziemlich streng genommen. So kann man erst ab 18 Jahren Alkohol und Zigaretten kaufen, und wenn man Gras bei sich hat, kommt man ins Gefängnis.

Viele, die ich getroffen habe, haben schon ziemlich harte Drogen genommen, LSD oder auch Marihuana, außerdem Ecstasy oder Kokain. Mir scheint, der eigentliche Kick besteht darin, dass es nicht erlaubt ist, Drogen zu nehmen. Es geht um das Risiko, die Wirkung der Droge ist eher nebensächlich. Ein Typ hat mich neulich auf einer Party angesprochen und gesagt, dass er keinen Sinn darin sieht, Alkohol zu trinken, wenn es erlaubt ist. So gilt für viele: Wenn du die Polizei hörst, musst du rennen. Die Polizisten hier sind zwar ziemlich nett, aber enorm streng, wenn es um Drogen geht. Jemand hat erzählt, dass sein Freund in einem Shopping Center erwischt wurde, als er sich einen Joint gedreht hat, nun sitzt er deswegen im Gefängnis. Ein anderer sitzt, weil er dabei erwischt wurde, als er Graffiti gesprayt hat.

Kürzlich war ich auf einer Barbecue-Party. Ein Gast war schwul, hat aber auf der Party eine Freundin für die Zukunft gesucht. Ja, das ist eine weitere skurrile Seite von Australien. Die Leute nehmen das Leben hier nicht so ernst. Australien ist schon von einer schönen Seite anders.

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