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Schule: Beinhartes Bike

Ex-Werner-Produzent Lutz Lester hat einen Rennchopper mit 100 PS entwickelt. Sein Kraftstoff: Diesel

Es gibt sie noch, die bösen Buben jenseits der 40 – und in Kürze wird es für diese Spezies auch den passenden Untersatz auf zwei Rädern geben. Getreu dem Motto „es ist nie zu spät für eine glückliche Jugend“ entwickelten einige fanatische Tüftler und rennsportbegeisterte Ingenieure aus dem Norden Deutschlands die Neander 1400. Es ist ein 280 Kilogramm schwerer Rennchopper mit über 100 PS und „einem Motor, wie es ihn bislang noch nicht gab“, sagt Lutz Lester. Früher produzierte der 41-Jährige Werner-Filme für das untergegangene Achterbahn-Imperium, heute ist er Vertriebschef der Neander Motors. Das Kieler Riesending mit fetten Puschen und brachialem Aussehen mutet an wie eine Kreatur aus einem der wildesten Werner-Comics, braucht zum Durchstarten aber – Diesel!

Jedem Biker ziehen sich normalerweise beim Wort „Diesel“ automatisch die Mundwinkel nach unten. Einer der „Väter“ der Neander 1400, der ehemalige Achterbahn Marketingchef Hitzbleck glaubte aber so sehr an die Idee eines Diesel-Choppers, dass er dafür mit eigenem Kapital eine Firma gründete.

Denn der Neander-Diesel ist nicht irgendein Selbstzünder. In sich trägt er Turbodieseltechnologie, wie es sie bislang noch nicht gab. In dem Motor hämmern zwei Stahlkolben, angetrieben von einer gegenläufigen doppelten Kurbelwelle. Diese völlig neue Motorenkonzeption stammt vom Bayern Rupert Baindl und ist eine ebenso schlichte wie geniale Lösung. 1997 hatte Baindl so einem Ein-Zylinder-Benzinmotor auf Suzukibasis transformiert. Damit gewann er bei der „Sound-of-Singles“-Rennserie alles, was es zu gewinnen gab. 2001 taten sich Hitzbleck und Baindl zusammen, um einen Zwei-Zylinder-Turbodiesel für den „Neander-Rennchopper“ zu realisieren. Dabei waren sie nicht allein. Baindl, oder „Rupi“, wie er in der Szene liebevoll genannt wird, hatte einen ganzen Schwung von Entwicklungsingenieuren mitgebracht. „Es sind alles hoch qualifizierte Spezialisten aus dem Rennsport, aber niemand davon ist mit einer Firma verheiratet“, beschreibt Lester das Team. „Das sind echte Enthusiasten, die nur an Projekten arbeiten, die sie wirklich interessieren.“

Drei Jahre dauerte es, bis der Motor zum ersten Mal Urlaute von sich geben konnte. Während der Entwicklung war viel Energie nötig. Denn eine Menge „beinharter“ Probleme waren zu lösen, von den Steuerzeiten der Einspritzung bis zur Materialauswahl bei Kolben und anderen Komponenten.

Im Dezember 2003 war es soweit: Das Team startete die Prüfstandsläufe mit dem ersten „Neander-Prototyp“. Ein Motor, den die Fachwelt vorher in dieser Form nicht für möglich gehalten hatte. Im klobigen Motorblock des Twins sitzen zwei mächtige Bohrungen, in denen zwei jeweils ein Kilogramm schwere Stahlkolben von jeweils zwei (!) fliegend gelagerten Pleueln fixiert ihre Arbeit verrichten. Sie treiben eine verzahnte gegenläufige Zwillingskurbelwelle an.

„Wir müssten jetzt tief in Physik und Thermodynamik einsteigen, um die weiteren Feinheiten des Zusammenspiels aller Komponenten zu erklären“, winkt Lester weiteres Nachfragen ab. Wichtig seien die Praxiseigenschaften der Konstruktion. Etwa seine Vibrationsarmut, bedingt durch die Eliminierung der Kreiselmomente bei den sich drehenden Wellen. Gigantisch auch das Drehmoment des 100-PS-Antriebs, mit 172 Newtonmeter derzeit bei Motorrädern „Weltspitze“. Im niedertourigen Bereich ergibt das einen „Bumms von unten raus, dass es einem schier die Socken auszieht“, sagt Lester schwärmerisch. Und das bei einem Durchschnittsverbrauch von rund drei Litern Diesel auf 100 Kilometer. Die gesamte Fachwelt zeigte sich überrascht vom Resultat.

Kein Motorradhersteller von BMW bis Yamaha hatte Ähnliches versucht. Dafür gibt es handfeste Gründe. Denn beim Bau von kompakten und gleichzeitig leistungsstarken Turbo-Kleindieseln tauchte bislang immer sofort ein Hauptproblem auf: Vibrationen. Hervorgerufen durch die beim turbobeatmeten Selbstzünder mit seinen hohen Drücken besonders stark auftretenden Massenkräfte an den sich bewegenden Motorkomponenten. Schon beim Automobil sind jene Vibrationen lästig. Bislang galt es daher als unmöglich, ein solches Schüttelaggregat in einen Motorradrahmen mit seiner relativ starren Aufhängung einzubauen.

Mittlerweile erwärmen sich selbst Fachleute für die Kieler „Dampframme“. An der FH München forscht Werner Bauer vom Fachbereich Maschinenbau mit einem ganzen Team von angehenden Ingenieuren an der Verbesserung der Neanderkonstruktion. Die Münchener haben noch einige Nüsse zu knacken, um auf die angestrebten Zielwerte bei der Geräusch- und Abgasentwicklung zu kommen. In enger Zusammenarbeit mit dem Neander-Motorenentwicklungsteam unter Helmut Betzmeir und Rupert Baindl wird außerdem an der Optimierung der Bosch-Einspritzanlage über den gesamten Lastbereich hinweg gearbeitet. Erst kürzlich hat Bosch anstelle der bisherigen Sechslocheinspritzdüsen exklusiv für Neander neue Achtlochdüsen entwickelt. Diese ermöglichen es, eine größere Menge feinstzerstäubten Diesel-Luftgemischs in die Brennräume zu führen und so die Leistung des Neander-Trumms nochmals zu erhöhen. In ersten Testläufen mit neuer Bedüsung zerrten schon bei 3200 U/min brutale 215 Nm Drehmoment an der Neander-Doppelkurbelwelle. So viel Power dürften den üppigen Metzeler-Marathon-Hinterradreifen wahrscheinlich des öfteren Spurrillen in den Asphalt fräsen lassen, sobald ein Fahrer etwas zu ungestüm am Gasgriff dreht.

Aber nicht nur der Antrieb lässt Fahrspaß pur erahnen. Auch das von Neander zusammen mit Fahrerlegende Martin Wimmer entwickelte Fahrwerk mit Rennchoppergeometrie soll „für das Segment Maßstäbe setzen“, verkündet Lester selbstbewusst. Um dieses Ziel zu erreichen, verbaute man bei Neander nur Komponenten vom Feinsten. Bei der Vorderradgabel hat sich Fahrwerksdesigner Martin „Hasi“ Reuter ebenfalls eine Weltneuheit einfallen lassen, eine Teleskop-Vierrohrgabel. Exklusiv für die Kieler Schrauber vom holländischen Spezialisten „White Power“ gefertigt.

Das ist jede Menge Exklusivität beim Cruiser im futuristischen Robocop-Look – und die schlägt sich auch im Preis nieder. Mindestens 68 500 Euro sollte man auf dem Konto haben, will man ein echtes „Neander-Mopped“. Fürs Geld gibt es dann aber laut Neanderwerbung auch ein „Motorrad fürs Leben“.

Schon im Frühjahr ist Produktionsbeginn für eine Kleinserie von 50 Exemplaren. Auf den sonnengefluteten Sträßchen Formenteras sollen ab Mai die ersten Probefahrten stattfinden. Lange vor diesem neudeutsch „Roll-out“ genannten Ereignis hat ein erster Promi bereits zugeschlagen – der „König von St.Pauli“-Darsteller Heinz Hönig. „Heinz ist völlig begeistert von der Maschine, er wird uns deshalb auch bei unserer Werbekampagne voll unterstützen“, frohlockt Lester.

Weiteres im Internet:

www.neander-motors.com

Volker J. Bürck

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