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Berliner Spickmich.de: Es wird fröhlich zurückzensiert

Schüler beurteilen Lehrer, Lehrer beurteilen Direktoren – in Berlin tut sich was in Sachen "Feedback".

Spickmich.de ist wieder online. Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs war die Internetseite zur Benotung von Lehrern tagelang blockiert. Frau D., Lehrerin an einem Berliner Gymnasium, wird sich kaum darüber freuen können. Auf ihrem spickmich-Zeugnis, ausgestellt von 22 Schülern, hat sie in den Fächern „guter Unterricht“ und „cool und witzig“ eine glatte Fünf bekommen, in der Kategorie „beliebt“ steht sie sogar auf Sechs. Damit ist wohl der Tatbestand des „An-den Pranger-Stellens“ erfüllt, den viele Lehrer den Machern von spickmich vorwerfen. Vielleicht weiß Lehrerin D. aber gar nicht, was im Internet über sie steht. Oder es ist ihr egal. Dann gehört sie zur breiten Mehrheit der Berliner Lehrer und Schüler, die von spickmich bisher allenfalls aus der Presse erfahren haben.

„Spickmich wird kaum genutzt. Vielleicht ist in Berlin zu wenig Werbung für die Seite gemacht worden“, sagt Micha Schmidt von der Landesschülervertretung. „Ich habe von keinen Poblemen gehört“, sekundiert Peter Sinram von der Berliner GEW. Er findet die spickmich-Seite gar nicht mal so schlimm. „Notengeber müssen aushalten, selber kritisiert zu werden.“

Das Institut für Schulqualität Berlin-Brandenburg (ISQ) sieht das ähnlich und bietet seit rund zehn Monaten eine Internetseite an, auf der Lehrer ohne größeren Aufwand ihre Wirkung auf Schüler testen können – anonym, wissenschaftlich fundiert und schnell. „Eine halbe Stunde pro Klasse reicht“, sagt ISQ-Leiter Hans Anand Pant. Rund 500 Lehrer hätten bereits von rund 8000 Schülern die Fragebögen online und anonym ausfüllen lassen. Die Seite soll weiter ausgebaut werden: Nächstes Schuljahr können sich auch Schulleiter von ihrem Kollegium bewerten lassen.

Die Schulen bei der so genannten Selbstevaluation zu unterstützen, gehört zu den Aufgaben des ISQ. Deshalb wurde das Rückmeldeportal entwickelt. Aber das Angebot ist noch nicht überall bekannt – und nicht alle, die es kennen, wollen es ausprobieren. „Manche Lehrer haben Angst vor einem negativen Feedback“, begründet Simone Bohnhorst die Zurückhalung einiger Kollegen. Sie ist an ihrer Schule, dem Charlottenburger Oberstufenzentrum für Körperpflege, nicht nur Lehrerin, sondern auch „Multiplikatorin für Feedbackkultur“ und hat das Portal selbst ausprobiert. Die Erfahrung war positiv. Bohnhorst fand es überraschend, „dass man mit den Schülern danach professioneller über den Unterricht reden kann“.

Möglicherweise liegt das an den 70 Fragen, die Diplompsychologe Holger Gärtner für das ISQ entwickelt hat. Die Schüler sollen etwa ankreuzen, ob der Lehrer deutlich spricht, sich klar ausdrückt, gut erklärt, ob der Unterricht spannend ist, es eine angstfreie Atmosphäre gibt und sich der Lehrer durchsetzen kann. Der Fragebogen für die Grundschüler fällt etwas einfacher und knapper aus als der für die älteren Schüler. Die Schüler haben die Wahl zwischen fünf Antworten von „Stimmt gar nicht“ bis hin zu „Stimmt genau“ oder „weiß ich nicht“. Auf jeden Fall sei das Portral „nicht so verletzend wie spickmich.de“, ist ISQ-Leiter Pant überzeugt. Ein weitere Unterschied besteht darin, dass nur der Lehrer die Schülerbewertungen erfährt. Schulleitung oder Schulaufsicht haben keinen Zugriff.

Einen ganz eigenen Weg geht das John-Lennon-Gymnasium in Mitte. Hier hat hat die Schulleitung schon vor neun Jahren angefangen, eine systematische Rückkopplung in den Schulalltag einzubauen. Der Impuls kam von den britischen Partnerschulen. Die beteiligten Lehrer haben viel Zeit in die Ausarbeitung von Fragebögen gesteckt, die die 7. Klassen und die Oberstufenkurse am Ende ihres Schuljahres ausfüllen. Auch die Abiturienten werden nach ihrer Prüfung ausführlich interviewt.

Ein Schüler wertet die Fragebögen aus, anschließend wird das Ergebnis im Unterricht besprochen. Festgeschrieben wird auch, was sich im nächsten Schuljahr verändern soll. Das Feedback-System habe sich trotz des Arbeitsaufwands bewährt, sagt Schulleiter Jochen Pfeifer. Weniger gut läuft bislang die konkrete Veränderung im Unterrichtsgeschehen. Viele Lehrer haben Schwierigkeiten, eingeschliffene Methoden und Verhaltensweisen wirklich aufzubrechen. Deshalb hat die Lennon-Schule Hospitationen eingeführt. Lehrer schauen in den Unterricht von Kollegen, danach wird gemeinsam überlegt, was zu tun ist. Das verlangt gerade älteren Pädagogen Überwindung ab, und nicht alle machen begeistert mit. Pfeifer vergleicht die Situation mit einer Karawane: Die offenen und kommunikativen Lehrer ziehen in der vorderen Kohorte mit, anderen halten sich abwartend im Mittelfeld, der Rest versteckt sich weiter hinten. „Aber auch zu denen reißt der Kontakt nicht ab“, versichert Pfeifer.

Die Schüler sind mit dem Fragebogensystem grundsätzlich einverstanden. Das Klima an der Schule habe sich verbessert. Aber die Wirkung in den Unterricht hinein sehen auch sie eher skeptisch. In einem Fall wurde aus der Ergebnis-Besprechung ein Streitgespräch, erinnert sich Schulsprecherin Anta Recke. „Es gibt Lehrer, die ganz schlecht Kritik annehmen können. Dann ist das Ganze eher sinnfrei“, sagt Mitschülerin Lena Eckner. Schließlich hätten die Schüler keine Möglichkeit, einen „schlechten Lehrer“, der sich gegen Änderungen sperrt, zu versetzen.

Die Landesschülervertretung macht gerade eine Umfrage an Schulen, was in Sachen Feedback so läuft. Micha Schmidt rät interessierten Schülern, eigene Foren zu gründen, auf bekannten Portalen wie StudiVZ oder MSN, um ihre Lehrer zu bewerten, denn „es ist spannender, was Eigenes zu machen“.

Infos: www.spickmich.de oder www.sep.isq-bb.de/start/index.html

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