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Die Metallskulpturen der Schüler vom Oberstufenzentrum Konstruktionstechnik sind in der Senatsschulverwaltung, Bernhard-Weiß-Str. 6, Mitte, ist bis Ende August zu sehen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berufsqualifizierung: Bock auf den Abschluss

Die Hans-Böckler-Schule in Kreuzberg motiviert Abbrecher mit einem Metallkunstprojekt, die Ausbildung nicht aufzugeben. Für viele Jugendliche ist es die letzte Chance, einen Ausbildungsplatz zu bekommen.

Ein glänzendes Tierskelett mit langen Hörnern liegt im Sand. Gerade hat der 20-jährige Jonas mit einer schnellen Handbewegung ein großes Tuch weggezogen, mit dem es bedeckt war. Eine Gruppe Menschen guckt interessiert in die leeren Augenhöhlen des Tieres und auf seine gebogenen Rippen. Das Skelett ist aus Metall und es ist ein Kunstwerk. Jonas’ Kunstwerk. Gerade wird hier, in der Senatsschulverwaltung in Mitte, die Ausstellung „Bock und Pan“ eröffnet. Zu sehen sind Metallskulpturen der Teilnehmer des einjährigen Berufsqualifizierenden Lehrgangs (BQL) an der Kreuzberger Hans-Böckler-Schule, dem Oberstufenzentrum Konstruktionsbautechnik.

Die Skulpturen sind das Ergebnis von einem Jahr Arbeit und sie sind sozusagen der Metall gewordenen Beleg, dass die Jugendlichen es noch zu einem regulären Beruf bringen können. Die meisten haben in 18 Jahren Pflichtschulbesuch keinen Hauptschulabschluss erreicht. Der Lehrgang war ihre letzte Chance auf einen Ausbildungsplatz. Viele haben die Chance genutzt. Wie Jonas: Der Schulabbrecher hat in diesem Jahr seinen erweiterten Hauptschulabschluss nachgeholt.

Von knapp 1600 Teilnehmern der BQ-Lehrgänge in Berlin erreichten im Schuljahr 2010/11 nur wenig mehr als die Hälfte einen einfachen oder erweiterten Hauptschulabschluss. In diesem Jahr gab es mit fast 2000 Schülern deutlich mehr Teilnehmer. Wie viele von ihnen welche Abschlüsse erlangten, konnte die Schulverwaltung noch nicht angeben.

„Das Böcke-Projekt ist ein Ansatz, um die Abbrecherquote der Lehrgänge zu senken. Es hat die Erfolgsquote entschieden erhöht“, sagt Lehrerin Ursula von Otten von der Hans-Böckler-Schule. „Schuldistanz“ attestiert sie ihren Schülern. Und sagt, dass sie „überwiegend aus schwierigen sozialen Verhältnissen stammen“. Die meisten haben wie Jonas, der aus dem Irak stammt, einen Migrationshintergrund, aber einen deutschen Pass.

Vor vier Jahren erarbeiteten von Otten und sieben weitere Lehrer, die im BQ-Lehrgang unterrichten, das Projekt in einer Weiterbildung : „Es ging darum, Ursachen und Hintergründe von Schulverweigerung zu ergründen.“ Und darum, einen Ausweg zu finden.

Das Thema des Projekts ist durch ein Wortspiel entstanden: Aus dem Nachnamen Böcklers, nach dem die Schule benannt ist, und dem Begriff „Null Bock“ – denn der sollte beseitigt werden. Das Thema umfasse alle möglichen Lehrinhalte, sagt von Otten. Biologie zum Beispiel und die Erkenntnis, dass nicht nur Schafe und Ziegen, sondern auch Antilopen unter den Begriff „Böcke“ fallen. Und auch Mythologie spiele mit hinein: Der griechische Hirtengott Pan etwa hat der Überlieferung nach Bocksfüße. Da passt es bestens, dass das Oberstufenzentrum eine Partnerschule in Griechenland für das Projekt hat. Es gab auch schon mehrere Schüleraustausch-Reisen. Ermöglicht werden die durch das europäische Comenius-Programm. Zur Ausstellungseröffnung sind auch griechische Schüler angereist und haben Skulpturen mitgebracht, darunter ein Pan aus Rohren.

Die griechische Schule ist eine Berufsschule, die Teilnehmer an dem Projekt lernen ganz unterschiedliche Berufe. Im BQ-Lehrgang des Kreuzberger Oberstufenzentrums geht es hauptsächlich um Metallbau – 14 Stunden pro Woche stehen auf den Stundenplänen. Zehn Klassen gibt es pro Jahrgang, vier sind am „Böcke-Projekt“ beteiligt, sechs nicht. „In den Klassen im Projekt hat es weniger Abbrüche gegeben – und sowohl mehr Abschlüsse insgesamt als auch mehr erweiterte Hauptschulabschlüsse“, sagt von Otten. Dabei halten die meisten Schüler den Arbeitsauftrag zunächst für merkwürdig.

Emre, 19, hat mit einem Mitschüler eine Metallgitarre mit Bockskopf und dicken Armen gebaut – einen „Gitarrenbock“: „Zuerst hatten wir keine Idee.“ Aber dann hat er sich an seine Begeisterung für Musikinstrumente erinnert. „Wir dachten zuerst, dass wir das nicht hinkriegen. Und ich habe keinen Sinn in diesem Böcke-Projekt gesehen und gedacht, dass das Zeitverschwendung ist.“

Auch Menderes, 18, sagt: „Ich war ziemlich skeptisch, als es hieß, wir sollten selbst etwas gestalten und kreativ werden.“ Eigentlich wollte er nur schnell seinen Abschluss nachholen. Er hatte die zehnte Klasse an einer regulären Schule nicht geschafft, weil er „keine Lust auf Schule“ hatte. „Und da habe ich irgendwie die Kurve verloren, weil da lauter asoziale Chaoten waren. Hier ist das anders, hier sind sich alle bewusst, dass es ihre letzte Chance ist. Hier gibt es keine Schlägereien. Die waren in meiner alten Schule Alltag.“ Jetzt hat er den erweiterten Hauptschulabschluss geschafft. „Dieses Jahr habe ich mich sehr motivieren lassen. Ich war doppelt so gut wie vorher.“ Und er hat einen Teufel mit Brille aus Vierkantstahl gebaut – zusammen mit Bahadin, 19: „Ein Ziegenbock sieht doch ein bisschen aus wie ein Teufel - mit dem Bart, den Hörnern und Hufen.“

Technische Zeichnungen anfertigen, Materialkunde, Schweißen – all das lernten die Schüler an ihren Böcken. „Ich habe gemerkt, dass ich ganz viel Neues lerne. Und dass ich was kann“, sagt der „Gitarrenbock-Erbauer“ Emre und klingt ganz erstaunt. „Ich habe mich einfach über das Schweißen gefreut.“ Eigentlich wollte er etwas mit IT machen, aber wie ihm gefällt die Arbeit mit Metall inzwischen vielen so gut, dass sie nach den Sommerferien eine Ausbildung zum Metallbauer anfangen wollen – an der Hans-Böckler -Schule.

Auch der „Skelett-Erbauer“ Jonas, der in seiner Freizeit viel zeichnet, hat diesen Plan. Nach seinem Schulabbruch hatte er einige Jahre auf dem Bau und als Küchenhilfe gearbeitet. Aber irgendwann hat er gemerkt: „Ich will nicht mein ganzes Leben lang so von Tag zu Tag leben.“

Die Ausstellung in der Senatsschulverwaltung, Bernhard-Weiß-Str. 6, Mitte, ist bis Ende August zu sehen.

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