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Das Mikroskop ist eine beliebte Anlaufstelle im Helleum.

© Kitty Kleist-Heinrich

Bildung in Berlin: Lernwerkstatt Helleum: Forschen ist doch kinderleicht

In der Lernwerkstatt Helleum in Hellersdorf können Kitakinder und Grundschüler auf eigene Faust experimentieren. Ein Besuch.

Der Ball von Robert macht vom Design ja nun gar nichts her. Eine weiße Styroporkugel, völlig unspektakulär. Aber Robert fixiert sie fasziniert, und er kreischt begeistert. Denn die Kugel fliegt, sie rotiert sogar um die eigene Achse. So tanzt sie 30 Zentimeter über einem Gebläse.

Lukas hat einen Fußball aus Plastik, einen mit coolen Farben und flottem Design. Auch Lukas starrt auf seinen Ball, aber er kreischt nicht dabei. Denn sein Ball fliegt nicht. Sein Ball liegt bloß auf dem Gebläse-Rohr, er bewegt sich keinen Millimeter.

Lukas blickt nun auch noch irritiert. Er weiß nicht genau, was da passiert ist, aber er ahnt, dass es irgendwie am Gewicht liegen muss, dass diese weiße Kugel fliegt und sein Ball nur daliegt.

Und ein paar Meter weiter steht Jule Gröber und beobachtet interessiert die Fünfjährigen mit ihren Bällen. Sie wird sich hüten, sofort etwas zu erklären. Das ist nicht ihre Aufgabe. Im Helleum in Hellersdorf lässt man Kinder beobachten, fühlen, tasten, da lässt man sinnliche Eindrücke wirken.

Erwachsene greifen nur ein, wenn Fragen kommen

Jule Gröber, die 39-jährige Lehrerin, greift nur ein, wenn die Fragen kommen. Wenn die Kinder wissen wollen, warum denn jetzt der eine Ball fliegt und der andere nicht. „Aber Fragen“, sagt sie, „ergeben sich meist nur, wenn sich die Kinder lange mit etwas beschäftigt haben.“

Die wichtigste Aufgabe, die eine Lehrerin und Betreuerin wie Jule Gröber hat, schildert Olga Theisselmann: „Die Kunst ist es, sich nicht einzumischen. Wir machen keine Vorgaben, wir bieten keine Rezepte.“ Die 40-Jährige redet mit etwas hartem Akzent, sie hat in Russland studiert, sie ist selber Pädagogin, sie leitet die Lernwerkstatt Helleum.

Erlebniswelt für Kitakinder und Grundschüler

Seit vier Jahren steht mitten in Hellersdorf eine besondere Erlebniswelt für Kitakinder und Grundschüler bis zur sechsten Klasse. „Das Helleum“, sagt Olga Theisselmann, „ist einzigartig in Berlin, es ist sogar ein Unikat in Deutschland.“ Lernwerkstätten als solche sind nichts Neues, in Berlin gibt es viele, meist ist es ein Raum in einer Schule, der mit Material zum Experimentieren und Forschen ausgestattet ist. Das Helleum aber ist riesig, hier tauchen die Kinder in eine Welt ein, in der sie sich die Faszination der Naturgesetze selber erarbeiten, ohne Anleitung, ohne begleitende Erklärungen. Die fünf Mitarbeiter sind erst mal auch nur Beobachter.

Das Helleum funktioniert als eine Art Gesamtkunstwerk, das ist die Besonderheit. Die Freiheit, Dinge allein entdecken zu können, in einem vielfältig ausgestatteten Atelier, diese Kombination hebt das Helleum heraus. Es gibt Mikroskope, eine Wasserlandschaft mit vier unterschiedlich großen Spülbecken, es gibt ein Terrarium und viele andere Dinge zum Beobachten, Fühlen, Spielen. Außerdem werden Workshops zu verschiedenen Themenfeldern angeboten: Sonne, Wind, Boden, Luft, Wasser. Nach vier Wochen wechselt das Thema.

Experimentiert wird mit Strohhalmen, Sand und Tauchermasken

An diesem Vormittag sind 14 Kinder einer Hellersdorfer Kita da, sie sind zwischen vier und fünf Jahre alt. Thema heute: „Der Wind bringt’s“. Deshalb stehen Robert und Lukas vor dem Gebläse und starren auf ihre Bälle. Deshalb hat sich Betty eine Tauchermaske aufgesetzt und pustet vor einer Kiste durch einen Strohhalm in feinen Sand. Sie pustet so lange, bis sie den Boden sehen kann. Daneben steht Daniel, er bläst mit aller Kraft durch ein Pappröhrchen. Sein Röhrchen hat einen größeren Durchmesser als der Strohhalm, deshalb spritzt sein Sand schneller zur Seite. Daniel registriert es mit großen Augen. Drei Meter entfernt steht eine Erzieherin der Kita. Sie hat ein Mädchen im Blick, das neben dem Gebläse in eine Kiste greift und einen Luftballon rausfischt. Sie wird ihn gleich aufs Gebläse legen und loskreischen. „Das ist Sheila“, sagt die Erzieherin, „sie ist eigentlich ein schüchternes Mädchen. Aber hier kommt sie bemerkenswert schnell aus sich heraus.“

Mit einem Fön kann man gut zum Thema Wind experimentieren.
Mit einem Fön kann man gut zum Thema Wind experimentieren.

© Kitty Kleist-Heinrich

Jule Gröber kennt solche Sätze. Kinder dürfen hier ganz Kind sein, mit all ihrer instinktiven Neugier. „Die Kitakinder“, sagt sie, „gehen noch unvoreingenommen an die Dinge heran. Bei etwas Älteren verliert sich die Kreativität schon. Die haben erst mal gar nicht mehr den Mut, etwas auszuprobieren.“

Lehrer sind verwundert, wie konzentriert die Kinder hier sind

Im Helleum lässt man sie probieren. Olga Theisselmann hat schon Kinder beobachtet, die eine halbe Stunde durchs Mikroskop Käfer, Blumen oder Steine beobachtet haben. „Viele Lehrer“, sagt sie, „erklären uns, dass sie ganz verwundert sind, wie sehr sich die Kinder hier konzentrieren und wie ruhig sie sind. Im Unterricht sind sie das nicht.“

Bei Jule Gröber inzwischen schon. Sie steht auch selber vor der Klasse, in der nahe gelegenen Mozartschule unterrichtet sie Biologie und Naturwissenschaften. Ihre Dienstzeit ist gesplittet, eine halbe Stelle besetzt sie im Helleum, die andere Hälfte in der Schule. Viele ihrer Schüler kommen immer wieder ins Helleum. Für Gröber ist die Lernwerkstatt die bemerkenswerteste Fortbildung, die sie je hatte. „Ich habe viel dazugelernt“, sagt sie. „Ich habe meine Einstellung zu den Kindern komplett geändert. Mein Vertrauen in sie hat sich gesteigert.“ Sie lasse ihren Schülern jetzt „viel mehr Freiraum als im klassischen Unterricht“.

Das Helleum ist auch als Unterstützung der Schulen gedacht. „Es ist die Antwort auf die schlechte Ausstattung des Bezirks mit Lehrern“, sagt Gröber. Die Grundschulen des Bezirks bezahlen eine Lehrerin, die hauptamtlich im Helleum tätig ist, vom Bezirk kommt das Geld für die Ausstattung. Und die Experten für Bildung im Kinderalter der Alice-Salomon-Hochschule haben das Konzept entwickelt und begleiten es. Zum Helleum-Personal gehören auch eine Kinderpädagogin und ein Sozialarbeiter.

85 Prozent der Besucher kommen aus Marzahn-Hellersdorf. Da die Bezirksgrundschulen Geld zuschießen, haben sie ein Vorrecht bei den Besuchsterminen. An Werktagen kommen bis zu 100 Kinder. Sie bleiben, je nach Alter, zwischen zwei und dreieinhalb Stunden.

Es gibt Probleme im Helleum, aber für die sorgt eine andere Altersklasse. Jedenfalls aus Sicht von Jule Gröber. „Es gelingt uns bei vielen Lehrern nicht, sie zu einem Besuch im Helleum zu motivieren.“ Sie hört dann immer den gleichen Grund: „Das passt bei uns nicht in den Unterricht.“ Die Pädagogin Gröber, die in ihren Schulstunden erlebt, was alles möglich ist, hat dafür nur eine Erklärung. „Die hängen zu starr an ihrem Lehrplan.“

Kastanienallee 59, Hellersdorf. Montags von 16.30 bis 18 Uhr können Familien ohne Anmeldung zum „Tüfteltag“ kommen, mittwochs ab 15 Uhr ist „Offene Lernwerkstatt“. www.helleum-berlin.de

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