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Bildungssenator Zöllner über die Oberschul-Anmeldung: "Viel früher, viel klarer, viel transparenter"

"Die Gesamtqualität der Schulen wird steigen", sagt Jürgen Zöllner. Berlins Bildungssenator zur Kritik an den neuen Aufnahmeregeln für die Oberschulen, zum Losverfahren und dem Wettbewerb der Schulen. Ein Interview.

Herr Zöllner, an welchen Stellen des neuen Aufnahmeverfahrens muss künftig nachgebessert werden?

Das Verfahren ist unterm Strich viel besser gelaufen, als man erwarten konnte. Ich sehe keinerlei Veranlassung, am Grundsystem etwas zu verändern. Rund 93 Prozent der Schüler haben eine ihrer Wunsch-Schulen bekommen. Das ist ein beachtlicher Erfolg. Man darf nicht vergessen, dass wir wegen der Ausweitung des Einschulungszeitraums vor sechs Jahren in diesem Jahr einmalig 4000 Schüler mehr haben als sonst. Die heute schon geringe Zahl der Schüler, deren Wünsche nicht erfüllt wurden, wird künftig noch geringer sein.

Noch sind mehrere hundert Schüler nicht versorgt.

Ich gehe davon aus, dass die wenigen nicht gelösten Fälle, die momentan existieren, vernünftig gelöst werden. Es betrifft rund 160 Schüler, also rund 0,5 Prozent aller Fälle.

Die müssen nun trotzdem quer durch die Stadt fahren.

Man wird sich hier um optimale Lösungen bemühen. Die Bezirke haben sich bisher sehr angestrengt, so dass ich sicher bin, dass auch für die wenigen verbliebenen Schüler zumutbare Lösungen gefunden werden.

Was heißt das in Minuten?

Ich meine, für den Bereich der Sekundarstufe I ist im Normalfall eine gute halbe Stunde als Schulweg zumutbar. Ich erinnere daran, dass auch in der Vergangenheit zehn bis zwanzig Prozent, in Tempelhof-Schöneberg sogar 30 Prozent der Kinder nicht im Bezirk versorgt wurden. Ich erinnere auch daran, dass die Eltern in den letzten Jahren größtenteils erst in den Sommerferien erfahren haben, wo ihre Kinder unterkommen, und nicht – wie dieses Jahr – größtenteils schon im April. Wir haben trotz der speziellen Situation in der überwiegenden Anzahl der Fälle eine zufriedenstellende, wenn nicht sogar optimale Entscheidung herbeiführen können. Das Verfahren fand viel früher, viel klarer und viel transparenter als bisher statt.

Bei dem Wort Transparenz schreien ein paar tausend Eltern laut auf. Sie hatten das Gefühl, dass sie die Katze im Sack kaufen mussten.

Es war völlig klar, wie und zu welchen Konditionen das Verfahren abläuft. Und den relevanten Notenschnitt einer Schule kann man nun mal nicht vorher bekannt geben.

Der Landeselternausschuss hat vehement kritisiert, dass Eltern die Chancen ihres Kindes an einer Schule nicht ermessen konnten. Sie fühlten sich ausgeliefert.

Ich kenne sehr viele sehr zufriedene Eltern – und ich weiß nicht, inwiefern die Alternative des Landeselternausschusses, nun praktisch alles zu verlosen, den Eltern ein größeres Maß an Sicherheit oder Kalkulierbarkeit geben sollte. Die Kombination von Kriterien wie Noten oder profilbezogenen Kenntnissen und dem Losverfahren ist eine verantwortungsvolle Abwägung. Es muss auch Leistungsanreize geben für Schüler. Anstrengung muss sich lohnen.

Dieses Gefühl haben die Eltern nicht. Manche Kinder wurden an Schulen mit einem Schnitt von 1,9 nicht zugelassen, weil genau dort der Numerus clausus lag. Schüler mit 3,6 hingegen wurden hineingelost. Widerspricht das nicht dem gesunden Gerechtigkeitsempfinden?

Das sehe ich überhaupt nicht so. Wenn ich den Elternwillen so hochhalte, wie wir es tun, muss es für jeden Schüler eine Chance geben – unabhängig von Wohnort, Geschlecht und Leistung. Wenn man dieses Element nicht einbaut, wird das aus meiner Sicht zu Recht nicht akzeptiert, wie sich in Hamburg gezeigt hat. Und wenn man es einbaut, werden eben auch einige Schüler dabei sein, die schlechtere Noten haben. Für diejenigen Schüler, die genau an der Schnittstelle waren und nach Noten nicht mehr zugelassen wurden, wird es sich dann ungerecht anfühlen. Aber man kann die Zahl der Schulplätze nicht beliebig erhöhen. Und ich gehe davon aus, dass genau diese Mischung aus bestimmten Kriterien und dem Los die Grundakzeptanz bewirkt, die es in Berlin für das Aufnahmeverfahren gibt.

Dennoch wollen viele Eltern klagen.

Auch in den vergangenen Jahren hat es viele Widersprüche und Klagen gegeben. Aber da wurde vorher nicht wochenlang in der Presse über die Möglichkeit des Klagens berichtet. Ich meine schon, dass hier die Möglichkeit einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung besteht. Und ich hoffe, dass die Anzahl der Klagen dieses Jahr eher geringer sein wird.

Weil viele Schulen nur nach Numerus clausus aufgenommen haben, gibt es nun die Befürchtung, dass sich Sekundarschulen und Gymnasien erster und zweiter Klasse entwickeln. Sehen Sie die Gefahr, dass sich Elite- und Restschulen bilden?

Ich sehe da keine Gefahr. Allerdings bin ich überzeugt, dass nun sowohl für Gymnasien als auch Sekundarschulen eine Wettbewerbssituation entsteht. Der Unterschied zwischen Schulen wird wahrscheinlich eher größer als kleiner. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass die Gesamtqualität der Schulen dadurch steigen wird. Dass es dabei auch Schulen geben wird, die weniger attraktiv sind, ist klar. Übrigens gehe ich davon aus, dass im nächsten Jahr eine größere Anzahl von Schulen von der Möglichkeit Gebrauch machen wird, ein spezielles Aufnahmeverfahren, das ihrem Profil entspricht, zu etablieren.

Wissen Sie schon, wie hoch die Bandbreite des Numerus clausus an den Schulen war?

Derlei Dinge werden wir erfahren, wenn das Anmeldeverfahren abgeschlossen ist. Dann werden wir dies analysieren und transparent machen.

Haben Sie es geschafft, dass verstärkt Schüler mit Migrationshintergrund in wohnortfremden Bezirken zur Schule gehen?

Auch dies wird erst nach Ende des Verfahrens bekannt.

Noch einige Fragen zu den Härtefällen. Eine alleinerziehende Mutter hat vier Kinder, zwei gehen noch nicht zur Schule. Ein Sohn ist auf der Schule gegenüber. Nun wurde der andere Sohn, der gute Noten hat, nicht auf dieser Schule angenommen. Er galt nicht als Härtefall, ihm wurde bislang berlinweit kein Platz angeboten. Was sagen Sie dieser Frau?

Ich sage ihr, dass ich gerne noch mal mit dem Bezirk rede, der dann versuchen wird, eine akzeptable Lösung zu finden.

Insgesamt wurde die Härtefall-Regelung sehr rigoros angewandt. In Charlottenburg-Wilmersdorf etwa wurden nur drei Härtefälle zugelassen. Müsste man diese Regel nicht der neuen Situation anpassen?

Die Härtefall-Regelung ist dieselbe wie in den vergangenen Jahren. Ich habe wegen der Rechtssicherheit auf Wunsch der Bezirke nichts daran gerändert. Wir sind davon ausgegangen, dass innerhalb des gesetzlichen Rahmens genügend Spielraum besteht, um diese Fälle aus Sicht der Betroffenen sinnvoll zu entscheiden. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass dies möglich ist. Wenn sich nun aber nach Ende des Verfahrens herausstellt, dass dem nicht so ist, muss man das Nötige unternehmen. Wir sollten aber nicht den Eindruck erwecken, dass der beschriebene Einzelfall die Norm ist.

Die Bezirke haben die Fälle sehr unterschiedlich gehandhabt.

Die Bezirke sind zuständig und haben einen gewissen Spielraum.

Bisher war auch eine Änderung der Geschwisterkindregelung nicht nötig, weil Geschwisterkinder wegen der BVG-Regelung fast automatisch einen Schulplatz in der Nähe hatten. Werden Sie nun etwas daran ändern?

Die Aussage kann jetzt nur sein: Wir warten das Verfahren ab und bewerten, ob die rechtliche Regelung ausreichend ist und es genügend Spielraum gibt, um sinnvolle Lösungen zuzulassen. Wenn dem in einer relevanten Anzahl der Fälle nicht so ist, muss man sich überlegen, was man ändert. Ich halte meine Vorgabe, dass der Bezirk zusammen mit der Schule entscheidet, für vernünftig. Man wird nie in der Lage sein, über eine Verwaltungsvorschrift die ganze Vielfalt von Härtefällen abzubilden. Wir müssen den Mut haben und sagen: Es gibt Dinge, die kann man nicht normieren, bei denen kann man keine Kriterien anlegen. Hier ist die individuelle Entscheidung gefragt.

Das Interview führten Patricia Hecht und Susanne Vieth-Entus.

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