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Nightingale

© Nightingale-Projekt

Schule: Blick in andere Welten

Kreuzberger Schüler entdecken mit Studenten ihre Stadt – von den gemeinsamen Unternehmungen profitieren beide Seiten.

„Ich wusste gar nicht, wie groß Berlin ist“, sagt Bilal, als er das erste Mal auf dem Fernsehturm steht. Seinen Kiez verlässt der Schüler der Otto-Wels-Grundschule in Kreuzberg nur selten. Den Ausblick teilt er mit Student Theo Sentija, mit dem er auch schon im Technikmuseum war.

Bilal ist einer von sechs Schülern, die in der Pilotphase vor zwei Jahren an dem Mentorenprojekt Nightingale teilnahmen. Inzwischen sind es 17 Schüler, und das Vorhaben soll bald auf weitere Brennpunktschulen der Stadt ausgeweitet werden. Ihre Mentoren studieren Erziehungswissenschaften an der FU. Die angehenden Lehrer treffen sich acht Monate lang einmal pro Woche mit einem Schüler. Jeweils zwei bis drei Stunden verbringen sie zusammen, besuchen Museen, Fußballspiele, entdecken die Stadt oder backen Muffins in der WG-Küche.

Von den Schülern der Otto-Wels- Schule haben 90 Prozent einen Migrationshintergrund, die meisten von ihnen stammen aus türkischen Familien. 80 Prozent der Elternhäuser sind auf staatliche Unterstützung angewiesen. Die Kinder kennen meist nur Kreuzberg, machen mit ihren Eltern kaum Ausflüge. Im Rahmen des Nightingale-Projekts lernen sie andere Lebenswelten und Berlin kennen und bekommen eine neue Bezugsperson. Ganz nebenbei verbessern sie ihre Deutschkenntnisse und stärken ihr Selbstbewusstsein. „Ich lerne viel dabei, es macht Spaß, und ist es viel besser rauszugehen, als in der Wohnung zu bleiben“, sagt Luis. Auch Sechstklässlerin Büsra freut sich jede Woche auf das Treffen mit ihrer Mentorin Sinem Abdurazak. Keramikteller zu bemalen, gefiel der Schülerin besonders.

„Die Kinder profitieren von dem Projekt“, berichtet Lehrerin Kirsten Kretzer. Sie beobachtet, dass die jetzigen Schüler „zunehmend“ ihren Kiez nicht mehr verlassen, „kein Umweltbewusstsein haben und im Sachkundeunterricht die einfachsten Dinge nicht kennen“. Kretzer entdeckte das Mentorenprogramm Nightingale im schwedischen Malmö. Nachdem sie die FU als Partner gewinnen konnte, startete das Projekt an der Wels-Schule.

Eine Bereicherung ist das Programm aber auch für Studenten. „Es ist eine wichtige Erfahrung, ein Kind nicht nur in der Klasse kennenzulernen, sondern auch Verantwortung zu übernehmen und zu erleben, was Elfjährige beschäftigt“, berichtet Studentin Jessica Reichel.

Elternarbeit als neue Erfahrung

Positiv bewerten die Studenten vor allem den Kontakt zu Kindern mit Migrationshintergrund. „Durch Ezra bekomme ich einen Einblick in die türkische Kultur“, sagt Sarah Mahlich. Doch auch Elternarbeit ist gefragt. Da ihre Schülerin gläubig erzogen wird und nicht gewohnt ist, etwas ohne ihre Schwester zu unternehmen, mussten auch die Eltern erst von den Vorteilen des Projekts überzeugt werden. Diese Gespräche möchten die Studenten nicht missen, weil Elternarbeit ansonsten im Studium kein Thema ist. Die praktische Ausbildung komme insgesamt zu kurz. Wenn es nach Projektleiterin Petra Wieler ginge, sollte jeder Student einmal Mentor eines Schülers sein. „Sie machen wertvolle Erfahrungen für ihre spätere Berufstätigkeit“, sagt die FU-Professorin des Fachbereichs Erziehungswissenschaften und Psychologie.

Ausgewählt wurden die Schüler von ihrer Klassenlehrerin. Erklären die Eltern ihr Einverständnis, lernen sich alle Beteiligten bei einem ersten Treffen in der Schule kennen. An vereinbarten Nachmittagen werden die Schüler von ihren Mentoren zu Hause abgeholt und zurückgebracht. Die Mentoren treffen sich zum Austausch alle sechs Wochen mit der Projektleiterin und Lehrern in der Schule.

„Jeder Schritt über Kreuzbergs Grenzen ist für die Schüler eine Bereicherung und für die Studenten mehr Praxis“, sagt Schulleiterin Christiane Steiner. Die Evaluation der FU bestätigt den positiven Nutzen für beide Seiten. Gefördert wird das Nightingale-Mentor-Migration-Projekt von der EU. Da die Fördergelder nur für Fortbildung und wissenschaftliche Begleitung vorgesehen sind, ist das Projekt auf Spenden angewiesen. Jeder Mentor braucht pro Jahr rund 250 Euro für Eintritts- und Fahrtkosten. Obwohl es immer wieder schwierig ist, das Geld aufzubringen, sind alle Seiten fest entschlossen, das Projekt nicht nur weiterzuführen, sondern auszuweiten. „Jede Schule müsste so etwas machen“, meint eine der begeisterten Lehrerinnen.

Bianca ist jetzt schon traurig, dass die Treffen mit Jessica Reichel bald aufhören. Zum Abschluss wünschte sie sich, mit ihrer Mentorin Bowling spielen zu gehen. Nachtigall nennen die Schweden das Projekt, weil der kleine Vogel so schön singt, wenn er sich sicher fühlt.

Weitere Infos im Internet: www.ewi-psy.fu-berlin.de/nightingale

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