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Schule: Das handzahme Monster

Über die Optik der neuen Ducati S2R kann man streiten, über das Fahrerlebnis wohl kaum

Die Marke Ducati erntete verdienten Ruhm für die Pionierrolle, die sie 1994 übernahm, als erstmals Renntechnik ohne Plastikschale und mit breitem Lenker auf die Straße kam. Das Grunge-Motorrad wurde vom Trendsetter zum Bestseller. Den rund 140 000 verkauften Monster-Modellen hecheln Suzuki, Cagiva und Hyosung mit ähnlich konzipierten 650ern hinterher. Die Plagiate sind billiger, aber eben nicht das Original. Um die Monster auch im zwölften Jahr aktuell zu halten, bemühte Ducati jetzt abermals den Baukasten.

Von der „Übermonster“ S4R mit dem komplexen wassergekühlten Vierventil-Sportmotor der seligen 996 erbte die neue S2R das trendige Hecklayout mit Einarmschwinge und beiden Schalldämpfern im ersten Stock der rechten Fahrzeugseite. Der Rest stammt aus der fahrtwindgekühlten immer wieder modellgepflegten Baureihe. Über die Optik mag und soll man streiten, die technische Reife ist im positiven Sinne auf jedem Meter spürbar. Im Vergleich mit den ruppigen Urmodellen, die noch der reinen Lehre vom fordernden italienischen Sportmotorrad nachhingen, ist gerade diese mittlere Hubraumvariante (es gibt auch fahrtwindgekühlte Monster mit 620 und 1000 Kubikzentimeter) sogar in der City so handzahm, das man sie Fahrschulen empfehlen könnte. Seien es die leichtgängigen Bedienelemente, die geschmeidige Leistungsentfaltung oder die verlässlichen, aber niemals bösartigen Bremsen.

Doch ein ABS, den geregelten Kat oder Gepäcksysteme wie an den BMW wird man an den Monstern vergebens suchen. Auch die Verarbeitung in den Ecken könnte sorgfältiger ausfallen. Nach wie vor reicht eine breite Straße fast nie zum Wenden in einem Zug und kurze Leute werden so über den Tank gespannt, dass sie ein Viertel ihres Gewichts auf den Handgelenken spüren. Große Leute finden wenig Platz für ihre Haxen, noch dazu stört die Auspuffblende den rechten Fuß, wenn man sportiv nur mit den Ballen auf den Rasten fährt.

Dafür bietet die DUC ein Fahrerlebnis, das den Kenner mit der Zunge schnalzen lässt. Ihre messerscharfe Lenkpräzision wird nur in ganz engen Ecken vom breiten 180er Hinterreifen gestört. Kommentar von Ducati-Händlern: „Die Kunden hätten es gern noch breiter.“ Der betagte Motor macht seine Sache im schlanken Gitterrohr-Chassis immer noch tadellos: Der trocken 175 Kilogramm leichte L-Twin startet prompt und was aus beiden Töpfen kommt, ist trotz EU-gerechter Phonwerte als Ducatisound zu identifizieren. Eine in der wichtigen Drehzahlmitte fette Drehmomentkurve mit stets über 70 Nm zwischen 4000 und 8500/min drückt die Duc souverän voran bis auf reichliche 200 km/h.

Für ein mit 78 PS versicherungsgünstig platziertes Bike ist das eine respektable Leistung. Doch Autobahnvollgasrennen sind nicht die Domäne der Monster – gleich welchen Hubraums. Die Leichtigkeit des Seins vermittelt das S-4-Chassis im Winkelwerk bundesdeutscher Mittelgebirge. Auf Straßen aller Art fahren Ducati-Piloten auch mit dem Serienfahrwerk dorthin, wo sie möchten. Von leichter Hand geführt zeigt sich die Monster zielgenau und fahrstabil. Das Fahrwerk bietet mit längerem Radstand und einem Grad mehr Lenkkopfwinkel als bei den alten Modellen ein Plus an Fahrstabilität, leider auf Kosten der einst extremen Handlichkeit. Das Gefühl für das Vorderrad ist dafür stets sicher.

Das Geheimnis der Ducati-Handlichkeit muss in der steilen Lenkgeometrie (67 Grad Lenkkopfwinkel) und dem tief liegenden, von Gewichten befreiten Steuerkopf liegen. Der L-Motor klotzt im Gegensatz zu Reihenvierzylindern wie „CBF“, „Bandit“ und Co. halt keine Massen an die Lenkung.

Die Hinterhand ist nun durch ein hochwertiges Sachs-Federbein mit stufenlos einstellbarer Federvorspannung und Zugstufendämpfung perfektioniert. Dazu passt die ebenfalls besser ansprechende upside-down-Gabel. So steht eine Monster und ganz speziell diese Ausführung, bei der die Leistung im Gegensatz zu 5-Zentner-100-PS-Boliden nicht vorsichtig verwaltet werden muss, sondern wirklich herausgelassen werden kann, für traditionellen Motorradfahrspaß in Stadt und Land.

Das Spiel mit Gas, Bremse, Wind, Licht und Sonne zaubert den Fahrern durchaus ein glückliches Lächeln auf die Lippen, das in dieser entspannenden Weise selbst doppelt so teure Motorräder nicht immer gewährleisten: Eine Monster steht dafür, was Motorradfahren im Kern ausmacht. Verzicht auf Farbe spart überdies Geld, die mattschwarze S2R kostet 8295 Euro. Für gefälligere Farbvarianten werden 500 Euro mehr verlangt.

Andy Schwietzer

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