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Schule: Der R8 – Audis verwegene Selbsttherapie

Seit Jahren kennt die sportliche Marke nur den Erfolg. Im Innersten aber hat sie gelitten – weil ihr ein echter Sportwagen fehlte

Die Kur für das Selbstbewußtsein: Der Audi R8. Foto: AudiWir gestehen – und nehmen bedauernd in Kauf, wenn Leistungsfetischisten sogleich von diesem Artikel ablassen: Die technischen Daten dieses Sportwagens sind uns ziemlich schnuppe. Dieses Auto ist schnell. Es ist stark. Es schreit geradezu danach, Beschleunigung, Tempo und Drehmoment aufs Schild zu heben. Uns aber juckt das wenig. Denn der R8 hat uns während der Testfahrten an einer Stelle erwischt, wo Zahlen komplett ihren Sinn verlieren – im Bauch.

Vermutlich hatte es Audi genau auf diesen Körperteil abgesehen. Denn die Motivation, einen alltagstauglichen Rennwagen auf die Straße zu stellen, hat wenig mit Vernunft zu tun, aber viel mit Emotion. Könnten die in Ingolstadt nicht glücklich und zufrieden sein, ohne so ein Wagnis einzugehen? Die haben doch alles! Sportliche Autos, die technisch und optisch vorne liegen. Ein Markenimage, nach dem sich andere die Finger lecken. Und Kunden, die bereit sind, sich für ein Auto krummzulegen, mit dem man es nach allgemeiner Ansicht zu etwas gebracht hat. Warum also dieses Spitzenmodell jenseits der magischen Einhunderttausend-Euro-Grenze?

Zum ThemaNicht nur der Form halber: Blick aufs DesignFrage des Geldes: Das bekommt man für 104 400 EuroFototour: Audi R8Das erste Motiv hat einen Namen: Martin Winterkorn. Er hat Audi ins neue Jahrtausend geführt; inzwischen sitzt er auf dem Chefsessel des Mutterkonzerns Volkswagen. Winterkorn ist fürwahr ein Autoverrückter. Der wollte es schlichtweg wissen: Was dabei rauskommt, wenn man das geballte Spitzenwissen über Allrad, Motoren und Leichtbau in einem einzigen Modell bündelt. Einem, bei dem alles erlaubt ist. Bloß Kompromisse nicht. Doch Winterkorns Ehrgeiz alleine erklärt kaum, warum sich die Audi-Mannschaft mit fast schon sektenartiger Begeisterung an die Entwicklung des R8 machte. Nein, da tat ein Minderwertigkeitskomplex sein Übriges. Vorstände, Ingenieure, Arbeiter, ja sogar die Kunden der Marke – sie alle litten unter den Euch-fehlt-was-Blicken aus Zuffenhausen. Eine Sportmarke ohne echten Sportwagen? Das nagte mehr, als man zugeben mochte. Natürlich war man Premium. Der entscheidende Punkt auf dem i aber, der hat gefehlt.

Jetzt ist der Punkt gesetzt – und wie. Der schnellste Audi aller Zeiten hat es geschafft, einige unserer Wertvorstellungen von flachen Rennflundern über den Haufen zu fahren. Zunächst: Der R8 bringt Orthopäden kein Zusatzgeschäft. Die Fahrwerkstechniker haben ein grandioses Werk getan. Der Wagen liegt so stramm und so satt auf der Straße, wie es sich fürs Genre gehört. Aber anders als der Lamborghini Gallardo, mit dem sich der R8 die Basis teilt, erlaubt der Audi den Querrillen und Buckeln nicht, die Besatzung mit kurzen Stößen ins Kreuz zu quälen. Ohnehin schmiegen wir uns froh in den Fahrersitz: Endlich ein richtiger Sportwagen, in dem wir von unseren Einssechsundachtzig nicht zwanzig Zentimeter verfluchen. Nein, an diesem Arbeitsplatz sortieren wir unsere Beine unverrenkt ein – und weil das Lenkrad unten flach ist, haben’s auch die Oberschenkel bequem.

Der Sprung ist geschafft. Nicht nur technisch sondern auch optisch kann der R8 bei den Sportwagen mitmischen. Foto: AudiBeim Start grollt der Achtzylinder kurz auf, gurgelt dann sanft in den Leerlauf. Leise rollen wir vom Hof. Scheint, der Wolf hat Kreide im Maul. Die ersten Kurven, das erste Schmunzeln im Gesicht des Genießers; „klong“, immer wieder das metallische „klong“, wenn der Hebel durch die polierte Schaltkulisse flutscht. Landstraße. Der Wagen hängt direkt am Gas, wann immer, wo immer, da geht was und zur Not noch was mehr. Nie hat man das Gefühl, die 19-Zöller könnten ihre Bodenhaftung verlieren, je nach Bedarf und Untergrund verteilt der Wolf seine Kraft auf Vorder- und Hinterläufe. Schnell gewöhnt sich der Fahrer daran, noch so enge Kehren mit Grip zu durchpflügen. Zuweilen wartet man regelrecht, wann es nun losgeht mit dem Untersteuern oder dem Quietschen der Reifen. Im Alltag kann man da lange warten. Wir mussten auf einem Speedway schon tüchtig rackern, um den Audi so weit zu bringen. Aber gerade, wenn man es im R8 auf die Spitze treibt, spürt man seine wahre Stärke: Die Präzision. Wedeln durch die Pylonen, abruptes Bremsen vor einem Hindernis, Beschleunigen ohne Zugverlust beim Hochschalten – nahezu jedes Manöver lässt sich punktgenau meistern, ohne dass es einem Perlen der Angst auf die Stirn treibt.

Diese Art von Perfektion wirkt unangestrengt und vor allem: Sie strengt den Fahrer nicht an. Wer sich den R8 leistet, kauft das nachhaltige Gefühl mit, alles richtig gemacht zu haben. Einen Haken hat die Sache allerdings doch. Wer den Audi nicht wagemutig bestellt hat, ohne ihn jemals gesehen oder gar gefahren zu haben, muss zig Monate auf sein gutes Stück warten. Mit den 15 Exemplaren, die in Ingolstadt täglich handverlesen werden, lässt sich die heftige Nachfrage nicht befriedigen. Mit dem R8 hat Audi einen Renner mehr – und einen Komplex weniger.

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