zum Hauptinhalt
In der Grundschule können Schüler nur in Ausnahmefällen sitzen bleiben.

© dpa

Ein Schuljahr wiederholen: Wann bleibt man sitzen – und was bringt es?

4000 Schüler wiederholten dieses Jahr die Klasse. Bildungsforscher bezweifeln den Nutzen des Sitzenbleibens. Wie sind die Regelungen in Berlin?

Als Miriam* in die neunte Klasse ihres Gymnasiums kam, hatte sie zwei neue Mitschüler: zwei Jungen, die sitzen geblieben waren. „Sie taten so, als ob sie ziemlich cool seien, weil sie wiederholt haben. Und unsere Jungs haben sich ihnen im Verhalten schnell angeschlossen“, erzählt die 15-Jährige. Gebracht hat es den beiden aber offenbar nicht so viel. Der eine sei recht bald wieder verschwunden. Und der andere schreibe nach wie vor schlechte Noten.

So wie den beiden Jungen geht es rund 3000 Schülern in Berlin. So viele wurden jeweils in den vergangenen beiden Schuljahren nicht in die nächsthöhere Klasse versetzt. Dazu kamen im vergangenen Jahr noch rund 1075 Schüler, die freiwillig wiederholten.

Für die Bildungsforscherin Nina Kolleck, die an der Freien Universität lehrt, ist der Fall der beiden sitzen gebliebenen Jungen ziemlich typisch. „Studien zeigen, dass Sitzenbleiben einen eher negativen Effekt hat“, sagt Kolleck. Nach einer kurzen Zeit mit besseren Leistungen verschlechtern sich die Schüler wieder. Die Kinder und Jugendlichen erlebten das Sitzenbleiben als Bestrafung, erläutert die Bildungsforscherin. Dadurch würden sie in ihrem Selbstwertgefühl beeinträchtigt. „Dabei ist gerade Selbstbewusstsein für gute Leistungen ganz entscheidend.“

Einige Bundesländer, zum Beispiel Hamburg, haben das Sitzenbleiben weitgehend abgeschafft. Wie ist das in Berlin? Wir beantworten die wichtigsten Fragen

Wo kann man sitzen bleiben?

Eigentlich passiert das in Berlin fast nur noch an Gymnasien und in der Oberstufe der Sekundarschulen und Fachoberschulen. „Grundsätzlich rücken die Schüler jeweils mit Beginn des neuen Schuljahres in die nächsthöhere Jahrgangsstufe auf“, heißt es im Schulgesetz. In Grund- und Sekundarschulen werden Schüler nur in „begründeten Ausnahmefällen“ nicht versetzt. Eine besondere Regelung gibt es gleich zu Beginn der Schulzeit. Die sogenannte Schulanfangsphase kann man auch statt in zwei auch in drei Jahren absolvieren, ohne dass es als Sitzenbleiben gilt. Man spricht auch von „Verweilern“.

Mit welchen Noten bleibt man sitzen?

Wer im Gymnasium drei oder mehr Fünfen im Zeugnis hat, bleibt sitzen. Wer zwei Fünfen hat, kann das ausgleichen, wenn er zwei Dreien in anderen Fächern aufweisen kann. Als Ausgleich für eine Fünf in einem der Kernfächern Deutsch, Mathematik, erste und zweite Fremdsprache braucht man mindestens eine Drei in einem anderen Kernfach. Bei zwei Fünfen oder einer Sechs in diesen Fächern bleibt man sitzen. Ansonsten braucht man für eine Sechs zwei Zweien aus Ausgleich.

Am Gymnasium gibt es noch eine Besonderheit, nämlich das Probejahr in der siebten Klasse. Wer das nicht schafft, kann die Stufe nicht auf dem Gymnasium wiederholen, sondern muss auf eine Sekundarschule wechseln und dort in der achten Klasse weiterlernen.

Wer entscheidet über die Versetzung?

Darüber entscheidet die Klassenkonferenz, das heißt die Lehrer, die in der Klasse unterrichten. Die Entscheidung fällt frühestens zwei Wochen vor Schuljahresende. Die Schulen sind aber verpflichtet, Schüler und Eltern schon früher über die Leistungsentwicklung zu informieren und Fördermaßnahmen einzuleiten. „Es ist ein zentrales Anliegen des Schulgesetzes, im Interesse der Schüler bei deutlichen Leistungsrückständen schon im laufenden Schuljahr zu handeln und gegenzusteuern“, sagt Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD).

Kann man freiwillig wiederholen?

Ja. Die Eltern müssen dafür einen Antrag stellen. Man kann auch während des ersten Halbjahres in die nächstniedrige Klasse wechseln. Die Lehrer können dem Antrag zustimmen, wenn sie erwarten, das sich der Schüler dadurch stabilisiert oder verbessert. Die weitaus meisten freiwilligen Wiederholungen gibt es in der zehnten Klasse der Sekundarschulen. Im vergangenen Jahr entschieden sich rund 850 Zehntklässler dafür. Viele hoffen, so einen besseren Abschluss oder die Qualifikation für die Oberstufe zu schaffen.

Wie oft darf man sitzen bleiben?

Für die Klassen 7 bis 10 darf man laut Schulgesetz höchstens sechs Jahre brauchen, das macht zweimal Sitzenbleiben. Ausnahmen sind aber möglich, wenn man erwarten kann, dass ein Schüler dann noch einen Abschluss schafft. Wer zweimal in der gleichen Stufe sitzen bleibt, muss das Gymnasium verlassen. Und wer zweimal in der Einführungsphase der Oberstufe scheitert, muss ebenfalls gehen.

Welche Alternativen gibt es?

Sitzenbleiben ist teuer. Die Bertelsmann-Stiftung hat 2009 ausgerechnet, dass die Bundesländer knapp eine Milliarde Euro jährlich dafür ausgeben. „Es wäre viel sinnvoller, das Geld in Förderunterricht zu stecken“, sagt Bildungsforscherin Nina Kolleck. Viele Grund- und Sekundarschulen bieten das an, es sollte aber auch an Gymnasien ausgebaut werden. Manchen Schülern helfe es, in eine andere Klasse desselben Jahrgangs zu wechseln. „Das Schulsystem reagiert leider zu oft mit Sanktionen. Das bringt aber nicht viel. Viel besser ist es, Kinder zu stärken.“

*Name geändert

Zur Startseite