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Lennart Lange und Mauricius Pelz (2. und 3. von links) haben Renovierungsarbeiten in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen geleistet - hier zu sehen mit Meister Martin Pott und Anneke Viertel vom Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge.

© Doris Spiekermann-Klaas

Engagement von Schülern und Azubis: In den Ferien zum Einsatz in die Gedenkstätte

Azubis eines Berliner Oberstufenzentrums renovieren im Sommer Baracken im KZ Mauthausen. Schüler fahren nach Auschwitz und machen daraus ein Theaterstück. Wie sich die junge Generation die Vergangenheit erarbeitet.

Acht Stunden schleifen, hobeln und fräsen ist für Mauricius Pelz und Lennart Lange nichts Besonderes. Sie sind angehende Tischler im zweiten Lehrjahr an der Knobelsdorff-Schule, Oberstufenzentrum Bautechnik in Siemensstadt. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass sie dabei ins Schwitzen kommen. Fenster und Türen müssen auch im Sommer ausgebessert werden.

Und doch war diesmal vieles anders. Das lag am Ort ihres Arbeitseinsatzes: das frühere Konzentrationslager Mauthausen in Österreich. Mauricius Pelz, 22, Lennart Lange, 18, und 20 weitere Azubis haben dort die Holzfassaden der Wäschereibaracke renoviert. Drei Wochen waren sie dort. Vor einer guten Woche sind sie zurückgekommen.

Pelz und Lange blättern an diesem Augustvormittag im Berliner Büro des Volksbunds Deutscher Kriegsgräberfürsorge in Tiergarten in einem Dokumentationsband über das KZ Mauthausen. Man sieht SS-Schergen, wie sie ausgemergelte Häftlinge vor sich her treiben. Man sieht die Steinbrüche, in denen 100 000 Häftlinge zu Tode geschunden wurden. „Da ist die Todesstiege“, sagt Mauricius Pelz und zeigt auf eine lange, hohe Treppe. Die Gefangenen mussten zentnerschwere Steinblöcke da hinaufhieven, viele seien dabei abgestürzt. „Und das ist die ,Fallschirmspringerwand‘ “, erklärt Lennart Lange. Zu Tode erschöpfte Arbeiter wurden diese Wand hinuntergeworfen. „Wie perfide, diese Wand ,Fallschirmspringerwand‘ zu nennen“, sagt Pelz.

Am Ort monströser Verbrechen

Klar, in der Schule haben sie viel über die NS-Zeit und die Konzentrationslager gehört. Doch es ist etwas anderes, wenn man selbst da steht, wo die monströsen Verbrechen begangen wurden. „Ich habe viel gelernt, was ich nicht wusste“, sagt Mauricius Pelz. Etwa über den Alltag der Häftlinge. Oder wie jung die SS-Männer waren. „Viele waren erst 22 – so wie wir jetzt. Das muss man sich mal vorstellen!“, sagt Pelz. „Wenn man damals geboren worden wäre, vielleicht wäre man dann auch SS-Mann geworden.“

Lennart Lange ist aufgefallen, dass das KZ nicht weit vom Dorf entfernt war. „Man konnte die Bauernhöfe sehen.“ In Mauthausen soll es einen Zeitzeugen geben, einen früheren Gastwirt, der mit dem Kommandeur befreundet gewesen war. Er habe im Dorf erzählt, wie nett der sei. Mit dem Zeitzeugen hätten die Azubis gerne gesprochen. Doch der sei nicht für ein Gespräch mit ihnen bereit gewesen.

Die Berliner beschäftigten auch die Einträge im Gästebuch der Gedenkstätte – das, was Holocaust-Leugner hinterlassen haben und Besucher, die mit „deutscher Patriot“ unterschrieben haben. In der Vergangenheit seien wohl auch häufig ehemalige Wachleute vorbeigekommen, um sich an ihre Zeit in Mauthausen zu erinnern. Das habe ihnen die Museumspädagogin erzählt. „Voll krass“, sagt Lennart Lange.

Vertrauen durch 35 Jahre gemeinsamer Arbeit

In den drei Wochen hätten sie aber nicht ständig an die Vergangenheit gedacht, sagen die beiden Azubis. Von morgens acht Uhr bis nachmittags um vier haben sie gespachtelt und gebürstet, morsche Bretter erneuert, alten Lack abgekratzt und neue Ölfarbe aufgetragen.

Da muss man sich konzentrieren, sagt Tischlermeister und Lehrer Martin Pott, der die Jugendlichen begleitet hat. Dass überhaupt Lehrlinge an so eine Arbeit herangelassen werden, sei etwas Besonderes. Denn der Denkmalschutz stelle auch in Österreich hohe Anforderungen. „Da muss die Gruppe schon wissen, was sie tut.“ In anderen Konzentrationslager dürfen Schüler nur fegen, harken oder Unkraut jäten.

„Wir haben uns das Vertrauen in 35-jähriger Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte erarbeitet“, sagt Tischlermeister Martin Pott. So lange gibt es die Kooperation bereits. Die Initiative dazu ging vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge aus. Der Volksbund hat auch diesmal in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr die Busse organisiert, mit denen die 22 Azubis nach Österreich gebracht wurden. Die Bundeswehr hat in den Klassenzimmern einer Mauthausener Schule Betten für die Berliner Gäste aufgestellt.

In ihrer Freizeit waren die Azubis im Freibad, sie haben Fußball gespielt, gegrillt – und junge Mauthausener kennengelernt. „Die sind supernett und finden toll, was wir machen“, sagt Mauricius Pelz. In früheren Jahrgängen hat sich auch schon der eine oder die andere verliebt. Manchmal kommen jetzt Jugendliche mit, deren Eltern sich als Azubis in Mauthausen kennengelernt haben.

Eine Wand als Zeuge der Greueltaten

Viktor Baschmankov ist vor einer guten Woche aus Krakau zurückgekehrt. Er erarbeitet sich die Vergangenheit nicht mit Hobel und Fräse. Er formt aus dem, was er in Polen gesehen, gehört und und gefühlt hat, Szenen für ein Theaterstück. Sehr deutlich steht ihm zum Beispiel immer noch eine Wand vor Augen. Eine Wand im Vernichtungslager Auschwitz, zwischen Block 10 und 11. Es ist die Wand, die die Häftlinge als Letztes von dieser Welt gesehen haben – bevor sie von hinten erschossen oder erdrosselt wurden. „Man sieht es der Wand an, was passiert ist“, sagt Viktor Baschmankov. „Das war zu viel. Da hab ich mich erst mal hingesetzt und gebetet.“

Er ist 16 Jahre alt und kommt nach den Ferien in die zwölfte Klasse. Zusammen mit 17 Jugendlichen aus Berlin, Krakau und Wolgograd macht er mit bei dem trinationalen Theaterprojekt „Youth. Memory“. Für Viktor Baschmankov ist die Sache besonders spannend, denn seine Eltern stammen aus Russland. Er ist in Berlin aufgewachsen.

Der Krieg in unseren Köpfen

Das Theaterprojekt hat sich der evangelische Kirchenkreis Zehlendorf zusammen mit dem Jungen Deutschen Theater ausgedacht. Am Volkstrauertag im November wollen die Jugendlichen ihr Stück im Deutschen Theater aufführen. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Das Stück gibt es noch nicht, vom 17. bis 24. Juli haben sich die jungen Deutschen, Polen und Russen zum ersten Mal in Krakau getroffen. Im Oktober sehen sie sich in Wolgograd wieder, im November sind dann alle in Berlin.

„Ich hätte nicht gedacht, wie sehr der Zweite Weltkrieg in unseren Köpfen ist – obwohl wir doch damit überhaupt nichts mehr zu tun haben“, sagt Viktor Baschmankov. Denn was Eltern, Großeltern und Urgroßeltern ihrem Nachwuchs von der Vergangenheit erzählen, wie sie das Vergangene interpretieren und intonieren, das unterscheidet sich in Russland, Polen und Deutschland sehr – und das wirkt sich bis in die junge Generation aus. Das war die erste wichtige Erkenntnis in Krakau.

Russische Jugendliche lernten die Geschichte aus der Siegerperspektive kennen, sagt Projektleiterin Franziska Reymann. Polnischen Jugendlichen falle es bis heute schwer, zu verzeihen, was Russland Polen angetan habe. Und für die Deutschen stehe immer noch die Schuld im Vordergrund.

Beim Workshop flossen Tränen

Während eines dreistündigen Workshops in Krakau prallten die unterschiedlichen Perspektiven aufeinander: Die Jugendlichen sollten nachstellen, wie der Unterricht zum Zweiten Weltkrieg in ihren Ländern aussieht. Sie sollten die Situation im Klassenzimmer nachspielen und sich dabei nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Art und Weise des Unterrichts konzentrieren. „Das begann ganz harmlos und lustig“, sagt Franziska Reymann. Doch nach der letzten Präsentation begannen die Jugendlichen zu diskutieren, immer heftiger und hitziger. Es flossen Tränen. Am Ende gestanden sich die jungen Deutschen, Russen und Polen, dass sie sich alle schuldig fühlten und ihnen furchtbar leidtue, was im Zweiten Weltkrieg passiert sei. Sie wollten alles dafür tun, dass sich so etwas nicht wiederhole. „Da ist die Gruppe sehr zusammengerückt, das war ein sehr emotionaler, guter Moment“, sagt Viktor Baschmankov.

Ihm ist auch in Erinnerung geblieben, dass die polnischen und russischen Schüler bei dem Workshop viel mehr Daten und Fakten im Kopf hatten. Davon wünscht er sich mehr auch für seinen Berliner Geschichtsunterricht. Noch hat er den Kopf voller Fragen. „Und bevor ich das Ganze analysieren kann, muss ich viel mehr wissen.“

Azubis bei Renovierungsarbeiten an der Wäschereibaracke in Mauthausen.
Azubis bei Renovierungsarbeiten an der Wäschereibaracke in Mauthausen.

© promo

Die Vergangenheit ist noch sehr nah

Mauricius Pelz und Lennart Lange, die beiden Berliner Azubis von der Knobelsdorff-Schule erzählen, dass einige Lehrlingskollegen noch eine Begegnung der ganz anderen Art in Mauthausen hatten: In der Häftlingskartei haben sie Namen von Verwandten entdeckt.

Die Vergangenheit, sie ist doch noch sehr nah.

„Es ist wichtig, für den Frieden zu arbeiten“, sagt Viktor Baschmankov. Gerade jetzt wieder, da die polnischen Eltern Sorge haben, ihre Kinder für ein Theaterprojekt nach Wolgograd zu schicken. Die Ukraine-Krise weckt in ihnen böse Erinnerungen.

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