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Durchgehalten. Die Schele-Schule wurde im Jahr 1900 gegründet.

© Susanne Vieth-Entus

Freie Schulen in Berlin: Von wegen „Schäden in Millionenhöhe“

Böse Worte fand die Bildungsverwaltung über die Schele-Schule im Westend. Die Richter sahen die Sache ganz anders.

Sein oder nicht sein, das war die Frage: Über zwei Jahre bangte die 118 Jahre alte Schele-Schule im Westend um ihre Existenz, bis jetzt das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin die Schule mit drei gleichzeitig erfolgten Urteilen rettete.

Die Rettung besteht zunächst einmal darin, dass die Senatsverwaltung für Bildung einen Zuschuss von über 200.000 Euro für das Jahr 2016 nachzahlen muss. Außerdem entschied das Gericht, dass die Behörde auf bereits verrechnete Nachforderungen von einer Million Euro zu verzichten hat, da der Schulträger bei der Antragstellung nicht – wie von der Senatsverwaltung behauptet – „grob fahrlässig“ Angaben im Zuschussantrag machte.

Der Richter sprach von "Kuddelmuddel"

Wer verstehen will, wie sich die Behörde von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) um rund 1,2 Millionen Euro „verrechnen“ konnte, stößt auf das, was einer der Richter während des Prozesses als „Kuddelmuddel“ bezeichnete – in Bezug auf wechselnde Akteure in der Verwaltung, die wohl überfordert waren mit den Besonderheiten einer Grundschule, die bis vor kurzem als einzige Schule Berlins von einer „natürlichen Person“ betrieben wurde: Burghard Troost von Schele fungierte in dritter Generation als Schulträger. Allerdings war diese besondere juristische Konstellation lange Zeit kein Problem. Vielmehr hatte die Bildungsverwaltung sogar zehn Jahre lang auf eine Überprüfung des Verwendungsnachweises der kleinen, feinen Schule verzichtet, bevor sie ihr 2016 plötzlich falsche Angaben zu Schülerzahlen und Einnahmen vorwarf und von „erheblichen Schäden in Millionenhöhe“ für das Land sprach. Somit kam zur drohenden Insolvenz noch der Imageschaden für die Schule. Wie konnte das passieren?

Die Einnahmesituation war strittig

Was die angeblich falschen Schülerzahlen anbelangt, war die Sache schnell geklärt und spielte vor Gericht schon keine Rolle mehr: Es hatte sich nämlich gar nicht um „falsche Zahlen“ sondern lediglich um höhere Prognosen gehandelt. Komplizierter aufzuklären war der Vorwurf falscher Angaben zu den Einnahmen. Die Schulbehörde behauptete nämlich, Troost von Schele habe zu geringe Einnahmen angegeben und daher mehr Zuschüsse erhalten als ihm zustanden.

„Übersteigen die laufenden Einnahmen eines nicht auf gemeinnütziger Grundlage arbeitenden Schulträgers 125 Prozent der vergleichbaren Personalkosten, wird der Zuschuss um den darüber liegenden Satz gekürzt", steht im Schulgesetz. Schele steckte sämtliche Einnahmen in den Schulbetrieb, zu dem auch Sach- und bauliche Unterhaltungskosten gehören. Er stellte sogar das ihm gehörende Schulgebäude kostenlos zur Verfügung. So meinte er, auf gemeinnütziger Grundlage zu arbeiten. Die neuen Mitarbeiter der Schulbehörde forderten aber eine Bescheinigung der Gemeinnützigkeit des Finanzamts. Diese kann aber nur Körperschaften ausgestellt werden und nicht natürlichen Personen.

Detektivarbeit im Parlamentsarchiv

An diesem Punkt schlug die Stunde von Detlef Hardorp, der sich seit Jahrzehnten in der Arbeitsgemeinschaft der freien Schulen engagiert: Er durchforstete das Archiv des Abgeordnetenhauses und stieß auf eine vor Jahren „klammheimlich“, wie er es nennt, vorgenommene Änderung auf Verordnungsebene: Beim Erlass der sogenannten Ersatzschulzuschussverordnung 2004 wurde ein Halbsatz der bis dahin geltenden Verordnung gestrichen, der sinngemäß lautete, dass die Landeszuschüsse nicht zu den Einnahmen zählen. Anders ausgedrückt: Die Zuschüsse sollten ab sofort zu den Einnahmen hinzugerechnet werden.

Wenn man Schele unterstellt, nicht auf gemeinnütziger Grundlage zu arbeiten, waren in der Folge Scheles Einnahmen höher als sie sein durften, um den vollen Landeszuschuss beanspruchen zu können. Dieser Eingriff auf Verordnungsebene widersprach aber der ausdrücklichen Festlegung des Gesetzgebers, der bei der Einführung des Schulgesetzes 2004 bezüglich der Finanzierung von Schulen in freier Trägerschaft in die Begründung schrieb: „Insbesondere bleibt die Höhe der Zuschüsse unverändert“, wie Hardorp in einer 19-seitigen Stellungnahme darlegte, die er der Schulbehörde zur Kenntnis gab und später vor dem Verwaltungsgericht vortrug.

Zu weiteren Problemen kam es, weil die Bildungsbehörde jahrelang nach Angaben zum "Schulgeld" fragte, dann aber die Begrifflichkeiten änderte und plötzlich nicht mehr nach "Schulgeld" sondern nach "Einnahmen" fragte, was die Verwirrung komplett machte.

Schele darf von einem "kriminellen Vernichtungsplan" sprechen.

Unterm Strich attestierte Scheeres' zuständiger Mitarbeiter dem Schulträger in einem internen Papier, das dem Tagesspiegel vorliegt, „nachweislich erfolgte falsche Angaben“. Weiter wies er seine Vorgesetzten darauf hin, dass gegen Schele eine Anzeige wegen „aktiven Betrugs“ bei der Staatsanwaltschaft laufe. Im selben Papier empfahl der Mitarbeiter, die finanziellen Forderungen gegen Schele zu vollstrecken, auch wenn in der Folge die Insolvenz und die „Einstellung des Schulbetriebs“ möglich seien. Seine Vorgesetzten zeichneten diese Empfehlung ab.

„Wenn das Urteil rechtskräftig wird, dann ist gerichtlich festgestellt, dass wir keine Rückforderungsansprüche haben, und dann auch keinen Schaden“, sagt die Bildungsbehörde, die noch die Urteilsbegründung abwartet und betont, dass das OVG eine „180-Grad-Drehung“ vollzogen habe. Es ist aber nicht die erste Niederlage rund um den Streit: Bereits 2017 unterlag besagter Mitarbeiter vor dem Landgericht, als er gegen eine Formulierung auf der Schul-Homepage vorgehen wollte: Schele hatte geschrieben, dass der Mitarbeiter einen „kriminellen Vernichtungsplan“ gegen die Schule „ausgeheckt“ habe. Die Richter fanden diese Darstellung vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, wie man dem Beschluss vom Mai 2017 entnehmen kann.

Die Eltern blieben der Schule treu

Und jetzt? „Wir sind extrem glücklich“, sagt Troost von Schele. Zumal die Eltern in der ganzen Zeit treu geblieben seien.

Dennoch bleiben Fragen. Zum Beispiel die, ob jemand den Schaden ersetzt, den die Schule beispielsweise dadurch erlitten hat, dass sie zur Abwendung der Insolvenz einen überteuerten Kredit hatte aufnehmen müssen. Ganz zu schweigen von den jahrelangen zermürbenden Auseinandersetzungen.

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