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Freie Sicht: Die Bildungsmisere steckt in uns selbst

Von Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität

Auf zwei Weisen können Bildungspolitiker in Deutschland sichtbar werden: indem den Bildungseinrichtungen ihres Landes Leistungsschwäche bescheinigt wird (Pisa, Iglu usw.) oder indem sie lautstark Institutionen oder Organisationen gründen. Es gibt keinen Grund, Bildungspolitiker zu beneiden. Das Bildungssystem und damit sie selbst werden in diesem Lande für fast alles verantwortlich gemacht: für Gewalt, Wirtschaftsflaute, Scheidungsquoten, Fettleibigkeit und natürlich Dummheit überhaupt. Da fast alles, was schief geht, mit Dummheit zu tun hat, sind Bildungspolitiker an allem schuld. Also erwartet man Aktionen, und immer neue Strukturen entstehen, werden wieder umgeworfen, gelobt und getadelt.

Wenn wir weiter so mit unseren Bildungspolitikern umgehen und sie sogar, wie im Fall Zöllner/Grundschule, für Entscheidungen verantwortlich machen, die getroffen wurden, als diese noch im Sandkasten spielten, dann ist das nicht nur ungerecht, sondern töricht. Es besteht das Risiko, dass auf solche Vorwürfe erneut mit Organisationsentscheidungen reagiert wird. Dabei gilt als sicher, dass die Gliedrigkeit und Organisationsform des Bildungswesens nur wenig Einfluss auf die Lerneffekte der Kinder hat.

Die Misere der Bildung in Deutschland steckt an einer anderen Stelle, sie steckt in uns selbst. Wer als Deutschlehrer nicht akzentfrei Deutsch spricht, sondern munter berlinert, wem es als Vater egal ist, ob sein Sohn Santa Barbara für eine Käsesorte hält, wer den Kindern nicht beibringt, älteren Menschen in der U-Bahn einen Sitzplatz anzubieten und wer kritisches (auch selbstkritisches!) Nachdenken dieser Art mit Ruhestörung assoziiert, sollte aufhören, über Bildung zu schwadronieren und Bildungspolitiker zu beschimpfen, die dann nicht anders können, als Strukturen zu befummeln, die nur wenig zu tun haben mit dem, was in unseren Köpfen fehlt: kollektive Verantwortungsbereitschaft.

Der Autor ist Erziehungswissenschaftler und schreibt jeden dritten Montag über aktuelle Themen und Debatten.

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