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Freie Sicht: Kein Recht auf schlechte Lehre

Von Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität.

Nun sind sie also vertagt worden, die gut überlegten und weitreichenden Vorschläge aus dem Wissenschaftsrat zur Verbesserung der akademischen Lehre in Deutschland. Die einzelnen Vorschläge wurden diskutiert, beleuchtet und zur Revision zurückgestellt. Darüber könnte man zur Tagesordnung übergehen, wenn damit nicht der Verdacht aufkäme, dass der Entwurf für die Empfehlungen wegen seiner Reichweite nicht konsensfähig war.

Besteht die Sorge, dass der „Aufsichtsrat“ des deutschen Wissenschaftssystems einen Tabubruch begehen könnte? Sagt er der deutschen Professorenschaft, dass die Auffassung ihre Grenzen hat, wonach das Verfassungsgebot der Freiheit von Forschung und Lehre auch das Recht umschließt, schlechten akademischen Unterricht zu halten? Das wäre absolut angemessen, denn der Wissenschaftsrat muss heute auf eine einzigartige Situation reagieren: Die Vereinheitlichung des Studierens in Europa nach dem Bachelor-Master-System stößt in Deutschland auf eine Rechtsordnung und ein Selbstverständnis, die dem 19. Jahrhundert entstammen. Bildungspolitik und Hochschulen verhalten sich gegenüber den Erwartungen der Gesellschaft unbeirrt indifferent.

Eine Universität, die curricular nicht durchorganisiert war, in der Studierende jedoch einen ignoranten akademischen Lehrer ihrerseits mit Ignoranz bestrafen konnten, hat aufgehört zu existieren. Die Auswahl von Lehrveranstaltungen und damit von Lehrenden ist für die Studierenden stark eingeschränkt. Sie haben deshalb einen Anspruch darauf, dass jedes Seminar auf höchstem Niveau angeboten wird. In einem derartig durchgeregelten System müssen außerdem die Regeln dem Ziel angemessen sein und tatsächlich umgesetzt werden können, beispielsweise durch eine Kollisionsfreiheit von Pflichtveranstaltungen.

Auch im Straßenverkehr würde der Staat es niemals zulassen, dass manche Ampeln tadellos funktionieren und manche eben nicht. Solange die Studierenden-Lehrenden-Relation in Deutschland zehnmal schlechter ist als an guten ausländischen Universitäten, wird manche verkehrsreiche Kreuzung nur von Funzeln beleuchtet, und niemand darf sich wundern, wenn es kracht.

Bleibt zu hoffen, dass die Empfehlungen des Wissenschaftsrates am Ende eine klare Botschaft dazu enthalten. Etwa so: „Der Erfolg jeder Reformmaßnahme ist an eine signifikant höhere Finanzierung der Hochschulen geknüpft.“ Sonst glaubt noch jemand, die Misere der deutschen Hochschullehre sei nur eine Frage des falschen Bewusstseins der Professoren.

Der Autor ist Erziehungswissenschaftler und schreibt jeden dritten Montag über aktuelle Themen und Debatten.

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