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Spaß am Lernen? Viele Eltern meinen, dass in Berlin zu früh eingeschult wird.

© dapd

Früheinschulung: Bin ich schon reif für eine Prüfung?

Zwist in der Koalition: Die CDU will bei Fünfjährigen die Rückstellungen erleichtern. Aber mit der SPD ist vorerst nicht zu reden. Die Grünen bringen das Thema am Donnerstag in den Schulausschuss des Abgeordnetenhauses.

Es hatte sich so gut angehört: Die Fünfjährigen sollten spielerisch und flankiert von Erziehern in die Schule hineinwachsen und dank Jahrgangsmischung flexibel in ein bis drei Jahren das Lernpensum der ersten beiden Klassen bewältigen.

Von dieser schönen Vorstellung ist acht Jahre nach der Grundschulreform nicht viel geblieben: Enttäuscht von der personellen Unterfütterung und desillusioniert von den schwachen Ergebnisse rücken Eltern, Lehrer und Bildungsfachleute Stück für Stück von der Reform ab. Nach der Jahrgangsmischung will die CDU jetzt auch die Früheinschulung flexibler gestalten und eine entsprechende Gesetzesänderung veranlassen.

„Wir wollen, das Elternrecht stärken. Wenn die Eltern für ihre fünfjährigen Kinder eine Rückstellung wünschen, sollte ein formloser Antrag reichen“, fordert CDU-Bildungsexpertin Hildegard Bentele. Die komplizierten Anträge, die von den Voten des Kinderarztes und der Kita flankiert werden müssen, sollen entfallen. Außerdem möchte die CDU, dass die Schulärzte verpflichtet werden, Eltern auf die Möglichkeit der Rückstellung hinzuweisen.

Während die SPD bislang jede Diskussion über eine Gesetzesänderung ablehnt, haben die Grünen ihren Änderungsantrag längst eingebracht. Anders als die CDU, die auf ihren sozialdemokratischen Koalitionspartner Rücksicht nehmen muss, fordern die Grünen, die Schulpflicht generell um ein Vierteljahr zu verschieben, damit kaum noch Fünfjährige eingeschult werden.

„Die frühe Einschulung hat keinesfalls zu einer Steigerung der Leistungsfähigkeit geführt“, resümiert der bildungspolitische Sprecher der Grünen, Özcan Mutlu, der im Sommer in den Bundestag einziehen will. Er verweist nicht nur auf etliche nationale Studien, die Berlins Schüler weiterhin als Schlusslichter ausmachen. Vielmehr bezieht Mutlu sich auch auf nationale und internationale Studien, die vor Risiken für zu früh eingeschulte Kinder warnen. Die Rede ist von geringerem Schulerfolg und einer erhöhten Gefahr, Aufmerksamkeitsstörungen nicht in den Griff zu bekommen.

Viele Grundschulen bemühen sich darum, den Schaden zu begrenzen, indem sie eng mit den umliegenden Kitas zusammenarbeiten. „Wir bitten die Erzieher, die Kinder genau zu beobachten und dann mit den Eltern darüber zu sprechen, ob ihr Kind eingeschult werden sollte oder nicht“, berichtet Ellen Hansen, Leiterin der Schöneberger Werbellinsee- Grundschule.

"Die Kinder werden in eine Zwangsjacke gesteckt"

Was einfach klingt, gestaltet sich in der Praxis allerdings oft schwierig. „Es ist kaum möglich, mit allen 20 umliegenden Kitas und Kinderläden Kontakt halten“, beschreibt Inge Hirschmann die konkrete Situation in ihrer Kreuzberger Heinrich-Zille-Grundschule. Angesichts der großen Probleme mit den sehr jungen Schülern und den kommenden Anforderungen im Zusammenhang mit der Inklusion plädiert Hirschmann ebenso wie Mutlu dafür, das Einschulungsalter wieder gesetzlich anzuheben. Die Schulen seien personell nicht dafür ausgerüstet, den sehr kleinen Kindern das richtige Umfeld zu bieten: „Diese Kinder werden in eine Zwangsjacke gesteckt“, bedauert Hirschmann, die auch den Grundschulverband leitet.

Zu den Folgen der Früheinschulung gehört, dass 3800 Kinder im vergangenen Jahr die zweite Klasse wiederholen mussten. Das entspricht 15 Prozent. Die Kinder fühlten sich „stigmatisiert“, auch wenn das so genannten Verweilen rein rechtlich nicht als Sitzenbleiben gelte, beschreibt Hirschmann die Folgen für die betroffenen Kinder.

Der Leitende Kinderarzt im Bezirk Kreuzberg–Friedrichshain, Dietrich Delekat, weist noch auf ein weiteres Problem hin: Auf unbelehrbare Eltern, die auf der Einschulung ihres Kindes beharren, obwohl es offensichtlich noch nicht so weit ist. „Auch Kinder, die es bitter nötig hätten, noch ein Jahr in der Kita nachzureifen, können nicht vor einer Überforderung in der Schule bewahrt werden, wenn die Eltern nicht mitspielen“, beschreibt Delekat die Auswirkungen der aktuellen Gesetzeslage. Solche Kinder könnten „locker eine Klasse sprengen“.

Wenn ein solches Kind erstmal eingeschult ist, gibt es kein Zurück mehr: Das Schulgesetz verbietet es kategorisch, Kinder nach Schulbeginn zurück in die Kita zu schicken. Die Folge: Sie binden die sozialpädagogischen Ressourcen einer Schule und lassen nichts mehr übrig für die vielen anderen Problemfälle. Selbst in England, dem Mutterland der Früheinschulung, ist längst eine Diskussion über den Sinn der Früheinschulung entbrannt.

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