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Gespräch vor der Verhandlung. Der Gymnasiast Yunus M. beriet sich zu Beginn der Berufungsverhandlung im Oberverwaltungsgericht mit seinem Anwalt Bülent Yasar. Nach dem Urteil wird der Jugendliche nun nicht an seiner Schule beten dürfen. Foto: dpa/Stephanie Pilick

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Gebetsraum-Urteil: Senat erleichtert über die Niederlage des Berliner Schülers

Der junge Berliner Muslim Yunus M. hat kein Recht auf ritualisiertes Beten in der Unterrichtspause. Politiker der Berliner Koalition und der CDU begrüßten das Urteil als Sicherung des Schulfriedens. Die Kirchen reagierten skeptisch.

Die Erleichterung war den Gesichtern der Senatsvertreter anzusehen. „Das ist ein guter Tag für Berlins Schulen, jetzt gibt es in diesem Konflikt Rechtssicherheit,“ sagte die Staatssekretärin der Bildungsverwaltung, Claudia Zinke (SPD), am Donnerstagnachmittag in einer ersten Reaktion auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes zum Gebetsstreit am Weddinger Diesterweg-Gymnasium. Das gestern nach einer Berufungsverhandlung ausgesprochene Verbot für ritualisierte muslimische Gebete während der Unterrichtspausen sichere „den Schulfrieden.“ Andernfalls hätten Spannungen zwischen religiösen und nichtreligiösen Schülern gedroht, ebenso wie unter muslimischen Jugendlichen, die ihren Glauben verschieden praktizierten. SPD, Grüne und CDU begrüßten das Urteil, die FDP und die christlichen Kirchen reagierten skeptisch.

Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat das Oberverwaltungsgerichtes (OVG) die Revision zugelassen. Der Anwalt Bülent Yasar, der den klagenden Schüler Yunus M. vertritt, wollte sich dazu nicht äußern. Der Spruch des OVG gilt juristisch nur für den Schüler am Diesterweg-Gymnasium. Allerdings könnten sich andere Schulen in ähnlichen Konfliktlagen darauf berufen, wenn es zum Rechtsstreit kommt. Aus Sicht der Schulverwaltung ist das Urteil „von fundamentaler Bedeutung.“ Es sei „ein Signal an die gesamte Bundesrepublik“, sagte die Anwältin des Senats, Margarete Mühl-Jäckel. Dennoch müssen die Gerichte bei weiteren Klagen auch künftig jeden Einzelfall neu prüfen, zumal sich die Fragen bei weniger auffälligen Gebetsritualen ganz anders stellen könnten.

Die Schulleitung hatte Yunus M. das rituelle Beten auf dem Schulflur untersagt. Daraufhin klagte er erfolgreich auf die Feststellung, dass ihm Beten während der Pausen erlaubt sei, und die Schule richtete einen Gebetsraum ein. Auch nach dem OVG-Urteil ist nicht auszuschließen, dass Schüler diesem Beispiel demnächst folgen. In den vergangenen Wochen haben bereits Dutzende muslimische Schüler an mehreren Schulen Gebetsräume beantragt. Auch ein jüdischer Schüler soll einen Raum gefordert haben.

Während der Gerichtsverhandlung wurde heftig diskutiert, wie oft der Schüler überhaupt den Gebetsraum genutzt hat. Eine Senatsvertreterin sagte, dass der Schüler das Angebot seit Februar nicht mehr wahrgenommen habe, und seit dem ersten Urteil im September 2009 nur 14 Mal. Man habe genau Buch geführt. Jeder Lehrer besaß einen Schlüssel und war instruiert. Doch das wollten Yunus und sein Anwalt nicht auf sich sitzen lassen. „Ich kann jetzt nicht aufschließen“, sei oft die Antwort gewesen, sagte der Schüler. Sein Mittagsgebet habe er deshalb allein im Klassenraum oder in der Umkleide der Turnhalle verrichtet. Später habe er bis nach der Schule gewartet. Der Göttinger Islamwissenschaftler Tilman Nagel sagte, dies sei auch für Muslime problemlos möglich. Er widersprach damit einem Gerichtsgutachten des Scharia-Experten Mathias Rohe, das seinerzeit das Verwaltungsgericht angefordert hatte. Rohes Gutachten sei „wissenschaftlich nicht redlich“, sagte Mühl-Jäckel, er habe wichtige Quellen nicht zitiert. Auch die SPD-Abgeordnete Bilkay Öney, selbst Muslimin und türkischer Herkunft, betonte gestern, der Islam sei pragmatisch. Man dürfe rituelle Gebete zeitlich nachholen und an jedem beliebigen Ort ausüben. Es sei „gar nicht notwendig“, dies in der Schule zu tun.

Das weitere Schicksal des Gebetsraumes am Diesterweg-Gymnasium ist indes noch ungewiss. Schulleiterin Brigitte Burchardt will Yunus nun nach dem Urteil zum Gespräch zu bitten. Sie habe ein „gutes Verhältnis zu ihm und sei optimistisch, einen „Ausgleich herzustellen“.

Staatssekretärin Zinke betonte gestern, das Urteile bedeute nicht zwingend das Ende für Gebetsräume oder gar Gebete an den Schulen. Es sei jetzt nur rechtlich klar, „dass Schulen keinen Gebetsraum zur Verfügung stellen müssen“. Würden pragmatische Lösungen gefunden, die den Schulfrieden nicht gefährdeten, könnten Schüler auch weiter beten. Damit widersprach sie auch Bedenken der FDP, die in einer ersten Reaktion auf das Urteil die Befürchtung geäußert hatte, nun seien keine Kompromisslösungen mehr möglich. Der integrationspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Raed Saleh, schlug genau solch eine Lösung vor, und zwar „einen einzigen Raum der Stille oder Einkehr“ für alle Religionen. Wer sich zurückziehen wolle, egal ob Muslim, Christ oder Jude, könne dies dort tun. „Das würde die Toleranz nachhaltig fördern“, sagt Saleh.

In ersten Äußerungen der evangelischen Landeskirche und des Katholischen Erzbistums Berlin schwangen Bedenken mit, nach dem Urteil könnte die Religionsausübung für alle Glaubensrichtungen an Schulen in Frage gestellt werden. Der Sprecher des Erzbistums, Stefan Förner, sagte, die Konsequenz dürfe nicht sein, Beten an Schulen zu verbieten. Heike Krohn von der Evangelischen Landeskirche betonte, die Neutralitätspflicht der Schule sei nicht berührt, wenn die Schüler dort ihr Recht auf Religionsausübung praktizierten.

Aus Sicht des Integrationssprechers der Grünen, Özcan Mutlu, hätte eine gegensätzliche Entscheidung die Schulen vor „unlösbare organisatorische Probleme“ gestellt. Außerdem hätte der „Konflikt ums Beten den eigentlichen Bildungsauftrag gestört“. Die CDU erklärte, ein stilles Gebet, das niemanden störe, unterliege „dem Ermessen der Schule“. Aber rituelle Gebete seien nicht akzeptabel.

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