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Generationengarten: Berliner Pflanzen unter sich

In Kreuzberg gibt es Berlins ersten Generationengarten. Kinder und Senioren pflegen ihn gemeinsam.

„Schau mal, da bewegt sich was!“ Eigentlich wollte die kleine Najet einen Margeritenstock einpflanzen. Jetzt liegt das seltsame Ding da auf ihrer Hand: blassrosa und nur wenige Zentimeter lang. Zuerst hat sie sich geekelt, ihn dann aber doch in die Hand genommen: „Ein Regenwurm!“ ruft sie, rennt zu ihren Freunden und zeigt ihnen den Fund. Rentnerin Gerda Roll schaut den Mädchen eine Weile freudig zu, dann unterbricht sie das Schauspiel: „Den müsst ihr wieder in die Erde setzen. An der Luft kann er nicht überleben.“ Das leuchtet den Mädchen ein und sie setzen das Tier zurück ins Beet. „Jetzt ist er wieder zu Hause!“

In der Kreuzberger Seniorenfreizeitstätte Falckensteinstraße ist Gartentag. Denn was auf den ersten Blick wirkt wie ein groß angelegtes Treffen von Großeltern und Enkeln, ist Berlins erster Generationengarten. Einmal pro Woche kommen 13 Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren aus einer benachbarten Kindertagesstätte hierher ins Seniorenzentrum, um mit den älteren Damen und Herren zu pflanzen, zu säen und zu ernten. Ein Generationengarten soll das leisten, was schon lange nicht mehr selbstverständlich ist – dass ältere und jüngere Menschen miteinander reden und in der Natur sind.

Gerda Roll, die selbst keine Enkel hat, sagt, dass sie froh ist, den Kindern etwas beibringen zu können, „zum Beispiel, dass Regenwürmer nützlich sind und man sie nicht kaputtmachen darf“. Außerdem würden die Kleinen hier erst Liebe zur Natur entwickeln „die sie ja zu Hause oft nicht mehr kennenlernen“. Gemeinsam mit Rentner Harald Hemmel erinnert sie sich: „Weißt du noch, wie sie vor einem Jahr über die Blumen gestaunt haben?“ Der 68-Jährige erzählt, dass manche Kinder am Anfang etwas schüchtern gewesen seien und mit der Gartenarbeit wenig anfangen konnten: „Wenn man sie aber ein bisschen anleitet, dann geht das schon.“

Entstanden ist das Konzept des Generationengartens in Kreuzberg, im Landschaftsarchitekturbüro „planwerkstatt“. „Wir haben lange Zeit Spielplätze entworfen und für Senioren dann Bänke eingeplant“, sagt Architektin Andrea Haas- Wohlfarth. Irgendwann habe sie gedacht, „dass es albern ist, wenn jede Generation einen abgetrennten Bereich hat.“ Damit es künftig mehr dieser Gärten gibt, fördert die Jugend- und Familienstiftung des Landes ein berlinweites Beratungsangebot für Nachbarschaftshäuser und Begegnungsstätten. Das Gärtnern dort soll zwei Generationen zusammenbringen, die oft nichts mehr miteinander zu tun haben, erklärt Haas-Wohlfarth: „Die Kinder werden für die Natur sensibilisiert, und die Senioren können ihr Wissen weitergeben.“

So auch die pensionierte Kunstpädagogin Toni Müller. Von ihr bekommen die Kinder ganz nebenbei ein Sprachtraining: Sie sollen sagen, welche Farbe eine frisch eingepflanzte Tagetes hat, und lernen die Namen der Pflanzen. „Sie entdecken und forschen und merken gar nicht, dass sie gerade etwas lernen“, sagt die Rentnerin. Nebenan buddeln Özkan und Atavin gerade ein Loch nach dem anderen; „viel zu tief für die Blumenstöcke“, bemerkt Harald Hemmel und befreit schnell ein versenktes Blümchen. Najet, die eben noch glücklich ihren Regenwurm entlassen hat, ist derweil den Tränen nah: Malvik ist auf ihre Blumenzwiebeln getreten und sie schreit wütend auf ihn ein. Toni Müller versucht zu schlichten: „Du musst ruhig mit ihm reden!“, sagt sie. Im Generationengarten sind die älteren Herrschaften eben auch Teilzeit-Omas und -Opas. Mit Engelsgeduld helfen sie ihren Schützlingen. Vermatschte Beete, umgeknickte Stängel, das ist alles kein Problem. Am Anfang, erzählt Freizeitstättenleiterin Ramona Bartel, seien manche zurückhaltend gewesen: „Besonders die Senioren mussten wir erst ermutigen.“ Mittlerweile arbeiten Alt und ganz Jung in der Falckensteinstraße nicht nur im Garten zusammen. Im Winter wird gebastelt, etwa Vogelhäuser und Kalender.

Am Ende des Gartentages stehen in den Beeten der Seniorenfreizeitstätte mehrere Dutzend Blumenstöcke, und über den mit Erde verschmutzen Weg rollt wie jede Woche ein Servierwagen mit frischem Pfefferminztee aus dem Garten. Auch die Minze ernten die Teilnehmer selbst. Ein bisschen Ursprünglichkeit und Ernährungsbewussten – auch das soll der Generationengarten laut seinen Erfindern bewirken. Wenn die Kinder nach getaner Arbeit auf der Gartenwiese Fangen spielen und die Senioren weiter hinten zum Kaffee übergehen, ist sie wieder da, die unsichtbare Schranke zwischen zwei Generationen, die mehr als 60 Jahre trennen. Das kann auch der Generationengarten nicht ändern. Aber nächste Woche werden die Schaufeln und Gießkannen schließlich wieder ausgepackt.

Architekturbüro planwerkstatt, Schlesische Straße 29/30, 10997 Berlin, Tel.: 030 - 61284603/04

Beate Brehm

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