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Gewalt an Schulen: Einsatz im Klassenzimmer

Was tun gegen die Gewalt? 62 Schulen haben eine Kooperation mit der Polizei.

Das silberne Handy ist ganz flach und glänzt neu. Bianca steht an der Bushaltestelle und spielt mit dem hübschen Gerät herum. Zwei Mädchen und zwei Jungen, Sechstklässler wie Bianca, tuscheln einige Meter entfernt und schielen immer wieder zu ihr hinüber. Dann stehen sie auf einmal ganz dicht um das blonde Mädchen herum. „Hast du ’n Handy bei oder so“, sagt der größte Junge drohend. Er trägt Schwarz und ist ganz offensichtlich der Anführer der kleinen Gang. Gleich darauf greifen acht Hände nach dem silbernen Gegenstand. Bianca streckt das Handy hoch in die Luft . Doch ein Junge im orangefarbigen T-Shirt steigt blitzschnell auf die Sitze an der Bushaltestelle und reißt dem Mädchen das begehrte Objekt aus der Hand. Bianca quietscht – ganz hoch und ein bisschen unecht.

Zum Glück ist die Situation genauso wenig echt wie der Schrei. Die „Bushaltestelle“ besteht aus zwei Holzstühlen; und ein Bus kommt hier im Klassenzimmer der 6d der Rudolf-Hildebrand-Grundschule in Mariendorf bestimmt nicht vorbei. Die Situation ist ein Rollenspiel und Teil eines vierstündigen Antigewalttrainings. „Was ist hier passiert?“, fragt jetzt Jörg Henniger. Der Mann im karierten Hemd steht neben dem Lehrerpult. An der Brusttasche trägt er ein Namensschild mit dem Polizeiwappen. Oberkommissar Henniger ist Präventionsbeauftragter und eigentlich eher eine Art Lehrer als Polizist. An diesem Morgen hat er seine Kollegin, Hauptkommissarin Ines Müller, zur Unterstützung mitgebracht. Ihr Einsatzort: die Klassenzimmer von 23 Schulen in seinem Polizeiabschnitt Tempelhof. Diese Schulen haben einen Kooperationsvertrag mit der Polizei abgeschlossen. Seit einem Jahr läuft die Kooperation mit der Hildebrand-Schule. Dazu gehört dort eine regelmäßige Sprechstunde der Polizei, das Training der Konfliktlotsen, Unterrichtseinheiten zum Thema Gewalt je nach Bedarf – und das Antigewaltseminar für alle Sechstklässler als Vorbereitung auf den Wechsel an die Oberschule. Dabei geht es darum, was die Schüler sich unter Gewalt vorstellen und welche Taten wie bestraft werden. Bei den Rollenspielen stehen Gefahrensituationen und Opferverhalten im Mittelpunkt. Zum Beispiel bei der Szene an der Bushaltestelle.

Was also ist dort passiert? „Bianca ist abgezockt worden. Abgezogen“, schlägt der Junge im orangefarbenen T-Shirt vor. Er sitzt nach seiner „Tat“ wieder im Stuhlkreis. Pascal steht auf dem Namensschild zu seinen Füßen. „Das hört sich ja niedlich an“, sagt Henniger. „Aber wie heißt das wirklich?“ Magdalena wirkt sehr zart, und ihr Finger schnellt immer als einer der ersten nach oben. Sie weiß die richtige Antwort: „Das war Raub.“ Gewalt ist alles, was mich verletzt – der Satz steht hinter Henniger an der Tafel. Der Polizist erklärt, dass Gewalt den Unterschied zum Diebstahl macht. „Raub ist ein Verbrechen, für das man als Erwachsener ins Gefängnis kommt.“ Einige Sechstklässler sind geschockt. Schließlich sei es doch „nur“ um ein Handy gegangen. Henniger spricht weiter. Über Mittäterschaft und was die Kinder tun sollen, wenn sie einen Raub beobachten: Hilfe holen.

Klassenlehrerin Gabriele Dumke sitzt mit im Stuhlkreis und will von den Polizisten wissen, ob sich die Opfer in der Regel trauen, die Täter anzuzeigen. Ja, versichert Polizistin Müller. „Meinetwegen sollen die Kinder mal richtig Schiss vor Strafen haben“, sagt die Klassenlehrerin nach dem Seminar. Es sei höchste Zeit für das Seminar gewesen. Bei mehreren ihrer Schüler hat sie Angst, dass sie in Richtung Kriminalität abrutschen. In ihrer „kindlichen, harmlosen, liebevollen Klasse“ habe sich in der letzten Zeit einiges zum Schlechten verändert. Da ist zum Beispiel der Junge, der zwei Köpfe größer und um einiges schwerer ist als der Rest der Klasse – so richtig kann er damit nicht umgehen. Er ist der „Ganganführer“ beim Rollenspiel. Immer wieder hat er an diesem Vormittag mit seinem Nachbarn Armdrücken gespielt und Schläge angedeutet. Was nimmt er mit vom Seminar? „Ich will jetzt nicht mehr so viel Kriminelles machen“, sagt er, man hat den Eindruck, dass er aufschneidet.

Das Sorgenkind der Lehrerin ist ein schlanker, intelligent wirkender Junge aus einer Migrantenfamilie. Vor einiger Zeit wurde er häufig mit einer schwarz gekleideten Jugendbande im Volkspark Mariendorf gesehen. Dort ist „Abziehen“ an der Tagesordnung. Doch Rektorin Gisela Hänel hat eingegriffen, jetzt ist das Problem wohl gelöst – vorerst. „Wir müssen unseren Schülern oft erst mal die Grundregeln des normalen Verhaltens beibringen“, sagt die Schulleiterin. Die Polizei sieht sie dabei als Teil eines Netzwerks, um den Kindern zu helfen. „Die haben eine ganz andere Autorität als wir.“ Außerdem dabei: Lehrer, Jugendamt und die Sozialpädagogen der Schulstation. Viele der Kinder kommen aus schwierigen Verhältnissen mit arbeitslose Eltern. Oder es sind Migrantenschicksale mit „schief gelaufener Integration“, sagt Lehrerin Dumke .

Trotzdem funktioniert Hänels Schule: Es gebe keine Schulschwänzer, sagt die Leiterin. Nirgendwo im Gebäude sind Schmierereien zu sehen. Und Oberkommissar Henniger ist im vergangenen Jahr kein Gewaltvorfall an der Schule gemeldet worden. Vielleicht liegt das auch daran, dass die Kinder bei dem Seminar so viel Spaß haben: Nach vier Stunden haben sie noch lange nicht genug: „Nur noch ein Rollenspiel, bittteeee.“ Aber Hauptkommissarin Müller muss zum nächsten Einsatz – auf der Wache.

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