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Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Schüler-Sommerakademie im Tagesspiegel-Innenhof.

© Doris Spiekermann-Klaas

Gymnasiasten berichten: Was Schüler bewegt

Gymnasiasten erzählen bei der Tagesspiegel-Sommerakademie von ihren Erfahrungen mit dem Berliner Bildungssystem.

Vom 23. bis zum 27. Juli waren 16 Schülerinnen und Schüler, 16- bis 18-jährige Gymnasiasten aus verschiedenen Berliner Schulen, beim Tagesspiegel, um in einem Sommerkurs mehr über Journalismus zu erfahren. Sie erlebten Redakteure bei der Arbeit und schrieben selbst Artikel. Wir haben sie gebeten, von ihren Erlebnissen mit dem Schulsystem zu berichten.

CHAOTISCHE STUNDENPLÄNE

19.15 Uhr – endlich ist die Schule aus! Nach 13 Stunden können wir nach Hause gehen: So kann ein Tag an unserer Schule aussehen. Zu den 36 Stunden Unterricht pro Woche gesellen sich noch mindestens zehn Freistunden. In dieser Zeit ruht man sich aus oder isst seine Stulle. Für Freizeitaktivitäten reicht die Zeit nicht. Unsere Schule bietet uns in der Oberstufe drei Aufenthaltsräume an, von denen meist zwei durch normalen Unterricht besetzt sind und der andere zu klein ist. Das Positive: Wir bekommen genau die Kurse, die wir gewählt haben. Aber zu welchem Preis?

Frederik Bahr (16) und Julia Gill (17)

WO SIND UNSERE LEHRER?

Überfüllte Kurse, große Klassen und Stundenausfall sind Alltag an unseren Gymnasien. Außerdem fehlt die Frische der jungen Lehrer und Referendare. Denn nicht wenige verlassen die Stadt, weil sie hier nicht mehr verbeamtet werden. Der Altersdurchschnitt unserer Lehrer steigt. Die wenigsten von uns haben Lehrer, die jünger als 40 Jahre sind. Viele ältere Lehrer wirken gestresst und unmotiviert. Auch wir verlieren so den Spaß am Unterricht.

Daniela Kabisch (18), Luisa Steffensen (17) und Ann-Kristin Groß (17)

SECHS JAHRE GRUNDSCHULE

In Berlin und Brandenburg gehen die meisten Schüler sechs Jahre zur Grundschule. Das hat den Vorteil, dass die Kinder in einem für sie gewohnten Umfeld länger zusammenarbeiten können. Es entstehen stärkere Klassengemeinschaften und längere Freundschaften. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass es in der fünften und sechsten Klasse keine Leistungsunterschiede zwischen der Grundschule und dem Gymnasium gibt. Wir hatten – mit gleichem Lernerfolg – zwei Jahre länger Zeit, uns für eine weiterführende Schule zu entscheiden. Und davon profitieren auch Spätzünder. Sie haben bessere Möglichkeiten, sich in der Grundschule weiterzuentwickeln.

Nico Schilling (16), Leon Linke (17), Max Schuckert (16)

GERECHTE NOTENGEBUNG?

Unser Abitur liegt in den Händen unserer Lehrer – so empfinden wir es seit Beginn der Oberstufe. Die Notengebung hängt viel zu sehr von ihnen und ihren Vorstellungen davon ab, wie viel ein Schüler leisten muss. Außerdem ist die Bewertung – je nach Fach – entweder viel zu lasch, unfair oder willkürlich. Oft sind noch nicht einmal die Begründungen für Punktabzüge richtig nachzuvollziehen, stattdessen wird man vor vollendete Tatsachen gestellt. Was fehlt, ist ein Dialog zwischen Schülern und Lehrern, der das ganze Jahr über stattfindet. So wüsste man als Schüler immer über seinen Leistungsstand Bescheid und könnte sich dementsprechend verbessern. Die Noten lägen also wieder mehr in unseren eigenen Händen.

Friederike Klauk (16) und Anna Baier (17)

VON WEGEN SELBSTBESTIMMUNG

In unserem Schulsystem gibt es meiner Meinung nach große Defizite bei der Selbstbestimmung. Obwohl die Oberstufe mit Begriffen wie Eigenständigkeit und Entscheidungsfreiheit angepriesen wird, fehlt genau das: Kurse müssen so in Kombinationen zusammengestellt werden, dass individuelle Kursprofile kaum möglich sind. Wenn jemand beispielsweise eine Vorliebe für Sprachen, Politik und Geschichte hat, muss er oder sie dennoch Naturwissenschaften, Sport und künstlerische Fächer dazuwählen. Für viele Wunsch-Kurse bleibt kein Platz im Stundenplan. Die eigenen Vorstellungen müssen in ein Wirrwarr aus Punkten und Vorgaben gepresst werden, Umentscheidungen sind nur möglich, wenn man Semester wiederholt. Nur mit viel Glück kann man zumindest ein paar eigene Schwerpunkte setzen.

Sarah (18)

VERSUCHSKANINCHEN FÜR G 8

Wir sind die Versuchskaninchen der Bildungspolitiker. Stoffkomprimierung, weniger Freizeit, enormer Leistungsdruck, überfüllte Universitäten, große Wissenslücken und lange Schultage. All das müssen wir ertragen. Seit der Umstellung auf das zwölfjährige Abitur können wir keine Leistungskurse mehr wechseln, die Persönlichkeitsentwicklung bleibt auf der Strecke und die Schwächeren unter uns gehen in der Masse unter. Im Durchschnitt muss jeder fünfte Schüler Nachhilfe nehmen, um dem Druck standzuhalten. Die Theorie klingt vielleicht gut, doch in der Praxis überwiegt das Negative. Wir sehen für uns als Schüler und angehende Studenten keine Vorteile durch das zwölfjährige Abitur. Stattdessen befürchten wir eher die Verdummung der G-8-Absolventen.

AntoniaWolf-Roskosch (18), Malin Krüger (17), Esther Kähne (16)

KAUM FORTBILDUNGEN VON LEHRERN

Zwei Wochen England stand für unseren Englisch-Leistungskurs auf dem Programm, um die Fremdsprache besser zu lernen. Doch bereits bei der Ankunft am Bahnhof gab es Probleme: Nicht die Schüler, sondern unsere Lehrerin scheiterte an der Verständigung mit einem Bahnbediensteten. Ob Englischlehrer, die schlechtes Englisch sprechen, oder Deutschlehrer, die sich weigern, die neue Rechtschreibung zu lehren: Viele Lehrkräfte sind überfordert mit neuen Unterrichtsplänen und -inhalten, und auch im Umgang mit den Schülern. Fortbildungen kosten jede Menge Zeit und Geld. Meiner Meinung nach sollte daran aber keinesfalls gespart werden. Damit Englischlehrer auch ohne ihre Schüler den Weg durch London finden.

Paula (18)

ABI HIER, ABI DORT

An dieser Stelle soll es um unsere Sicht auf das Bildungssystem gehen. Aber hier beginnt schon das Problem: Es gibt nicht das eine deutsche Bildungssystem. Es gibt 16 verschiedene. Warum das so ist, konnte mir noch niemand schlüssig beantworten. Das Argument, so entstehe ein Wettbewerb zwischen den Bundesländern um das beste Bildungssystem, finde ich unsinnig. In der Theorie mag das zwar gut klingen, praktisch führt der Bildungsföderalismus aber nur zu Qualitätsunterschieden und einem Chaos, wenn man in ein anderes Bundesland umzieht. Außerdem leidet die Vergleichbarkeit. Möglicherweise werde ich also schwerere Abiturprüfungen schreiben als Schüler aus anderen Bundesländern. Vielleicht ist es auch umgekehrt.

Hannah Zabel (17)

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