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Gymnasien: Schwungvoll in den Ganztagsbetrieb

Im August gehen sechs Gymnasien an den Start, die Angebote bis 16 Uhr machen. Viele Schüler können davon profitieren.

Architekten haben Pläne entworfen, nun schreiten die Handwerker zur Tat. Im ersten Stock werden Wände herausgerissen und neue Strom- und Internetleitungen verlegt. Drei Klassenräume des Charlottenburger Gottfried-Keller-Gymnasiums werden zusammengelegt. Entstehen soll eine 150 Quadratmeter große Mediathek mit Computern, Bibliothek und Plätzen, an denen Schüler selbstständig arbeiten und lernen können. „Die neue Mediathek wird das Arbeitsherz unserer Schule“, sagt Leiter Gerhard Kreitmeyer.

An seiner Schule herrscht Aufbruchstimmung. Im Sommer startet das Gottfried-Keller-Gymnasium als eines der neuen Ganztagsgymnasien in Berlin. Um fürs nächste Schuljahr gerüstet zu sein, tauscht sich das Kollegium aus Charlottenburg derzeit mit den Kollegen der Kreuzberger Hermann-Hesse-Schule aus, die ebenfalls den Ganztagsbetrieb einführen. Eine gemeinsame Fortbildung des Ganztagsschulverbands gehört zu den Vorbereitungen dazu.

Der Stundenplan der Gottfried-Keller-Schule hat bereits eine neue Struktur. Gegliedert wird der Schultag, der künftig von acht bis 16 Uhr dauert, durch ein dreistündiges sogenanntes Mittagsband. Von der fünften bis zur siebten Stunde, das heißt dreimal 50 Minuten, ist Zeit, die unterschiedlich genutzt werden kann: für das Mittagessen, um Sprachdefizite auszugleichen, Wochenpläne zu besprechen, die Lernorganisation zu unterstützen und in der neuen Mediathek zu arbeiten. „Studienzeit und Coaching bestimmen das Mittagsband“, sagt Kreitmeyer.

Sein Ziel: eine neue Lernkultur. Dazu sollen mehr fächerübergreifende Projekte, weiterentwickelte Unterrichtsmethoden und eine kompetenzorientierte individuelle Förderung der Schüler bis hin zum rhythmisierten Unterricht gehören. Im kommenden Schuljahr beginnen damit vier siebte und voraussichtlich zwei achte Klassen.

Das Gottfried-Keller-Gymnasium liegt im nördlichen Charlottenburg – im Mierendorfkiez, einem Viertel, das sich in den letzten Jahren verändert hat, weil die Mittelschicht nach und nach weggezogen ist. In der Schule sind 29 Nationen vertreten, knapp 40 Prozent der Schüler sind nichtdeutscher Herkunft. Nur die Hälfte hat eine Empfehlung für das Gymnasium, viele von ihnen benötigen eine zusätzliche Förderung.

Georg Knapp, Schulleiter des Neuköllner Albert-Schweizer-Gymnasiums ist damit bestens vertraut. Seine Schule führte 2007 den Ganztagsbetrieb ein, weil das frühere pädagogische Profil der Schülerschaft nicht mehr gerecht wurde. „Rund 90 Prozent unserer Schüler sind Migranten. Die sind kognitiv zwar in der Lage, dem Unterricht zu folgen, scheitern aber meist wegen sprachlicher Schwierigkeiten“, berichtet Knapp, der das Schulkonzept grundlegend veränderte. Nun werden die Schüler in allen Fächern in der Bildungssprache gefördert. Außerdem werden auch die Hausaufgaben in der Schule gemacht, weil viele Eltern ihre Kinder dabei nicht unterstützen können.

Das Charlottenburger Ganztagsgymnasium will seine Schüler mit Migrationshintergrund künftig durch vier Lehramtsstudenten unterstützen, die qualifiziert sind, „Deutsch als Zweitsprache“ zu unterrichten. Finanziert werden diese von der Mercator-Stiftung. Von der Lehrerschaft wird das begrüßt – ebenso wie die Verstärkung durch eine Sozialpädagogin, die 30 Stunden pro Woche in einem eigenen Raum Ansprechpartnerin sein wird. „Gymnasien brauchen eine sozialpädagogische Unterstützung, die Lehrer entlastet und Schülern bei Problemen weiterhilft“, sagt Kreitmeyer. Die Gottfried-Keller-Schule kooperiert deshalb mit einem freien Träger. Zusätzliche Honorarkräfte für Arbeitsgemeinschaften finanziert die Schule durch Mittel aus dem Personalkostenbudget.

Nachteile hat das Ganztagsgymnasium allerdings bei den Lehrerstunden. Während die Sekundarschulen für ihr Ganztagsangebot zwei zusätzliche Pädagogenstellen erhalten, bekommen die Gymnasien nur eine halbe Stelle mehr. So muss Kreitmeyer andere Förderstunden umnutzen, um die Mittagsbetreuung für alle Schüler zu gewährleisten.

Laut Bildungsverwaltung ist die Schülerschaft der Sekundarschulen nicht mit jener der Gymnasien zu vergleichen – soll heißen, Gymnasiasten seien leistungsstärker und brauchten weniger Unterstützung. André Nogossek, der Vorsitzende der Elternvertreter am Keller-Gymnasium, der auch im Landeselternausschuss aktiv ist, kritisiert diese Personalpolitik. „Auch an Gymnasien wird eine individualisierte Förderung verlangt, aber das notwendige Personal nicht bewilligt“, sagt er. Er betont, dass zudem nicht alle Gymnasien gleich starke Schüler hätten. Die neuen Ganztagsgymnasien könnten Leuchtturmschulen werden, sagt Nogossek. Doch bei mangelnder Ausstattung werde verbrannte Erde hinterlassen – und dann sei das Modell vom Tisch.

Jürgen Koch, ebenfalls Elternvertreter vom Gottfried-Keller-Gymnasium, ist dennoch zuversichtlich. „Die Schulverwaltung hat den Fokus bisher auf die Sekundarschulen gerichtet. Jetzt müssen wir den Bedarf der Gymnasien deutlich machen“, sagt er. Die neuen Ganztagsschulen bräuchten eine Chance, sich zu positionieren.

Nach dem Willen des Bezirkes hätte die Schule vor zwei Jahren mit der benachbarten Elisabeth-Realschule fusionieren und eine Gemeinschaftsschule bilden sollen. Gerhard Kreitmeyer wehrte sich jedoch erfolgreich dagegen, weil die Zusammenlegung das Ende der gymnasialen Oberstufe bedeutet hätte. Nun will er zeigen, dass eine Schule auch in einem eher schwierigen Umfeld ein gutes Bildungsangebot liefern kann. Die Resonanz gibt ihm recht. Fast doppelt so viele Eltern wie vor vier Jahren haben ihre Kinder am Gymnasium angemeldet.

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